Kategorie: Pressemitteilungen

  • Eine digitale Brandmauer errichten

    Eine digitale Brandmauer errichten

    Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern die neue Bundesregierung auf, eine digitale Brandmauer gegen den Faschismus zu errichten. Diese digitale Brandmauer muss Missbrauchspotentiale minimieren, Menschen und gesellschaftliche Gruppen ermächtigen sowie Menschenrechte und demokratische Werte, insbesondere Freiheit, Gleichheit und Solidarität, schützen und fördern. Die aktuellen Geschehnisse in den USA zeigen auf, wie Datensammlungen und -analyse genutzt werden können, um einen Staat handstreichartig zu übernehmen, seine Strukturen nachhaltig zu beschädigen, Widerstand zu unterbinden und marginalisierte Gruppen zu verfolgen.

    Der Koalitionsvertrag muss sich daher an diesen zwölf Mindestanforderungen messen lassen:

    I. Bekenntnis gegen Überwachung

    Es ist ein Irrglaube, dass zunehmende Überwachung einen Zugewinn an Sicherheit darstellt. Sicherheit erfordert auch, dass Menschen anonym und vertraulich kommunizieren können und ihre Privatsphäre geschützt wird. Zu oft werden aktionistische Vorschläge wie die Chatkontrolle, Vorratsdatenspeicherung oder biometrische Überwachung als technische Allheilmittel für komplexe gesellschaftliche Herausforderungen präsentiert – ohne ihre massiven Missbrauchspotenziale zu berücksichtigen. Stattdessen braucht es eine evidenzbasierte Politik, die differenzierte Lösungsansätze ohne Massenüberwachung verfolgt. Es ist die Aufgabe des Staates, Grundrechte zu schützen. Dazu gehört insbesondere auch, den Missbrauch von Maßnahmen, Befugnissen und Infrastrukturen durch die Feinde der Demokratie zu verhindern, heute und in Zukunft.

    Wir fordern:

    1. Die biometrische Massenüberwachung des öffentlichen Raums sowie die ungezielte biometrische Auswertung des Internets wird verboten. Insbesondere wird aktiv gegen jede Form von Datenbank vorgegangen, die ungezielt Bilder, Videos und Audiodateien aus dem Internet nach biometrischen Merkmalen auswertet. Die entsprechenden Befugnisse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge werden zurückgenommen.
    2. Anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung wird abgelehnt. Stattdessen werden grundrechtsschonende und effektivere Maßnahmen der Strafverfolgung wie das Quick-Freeze-Verfahren und die Login-Falle verfolgt.
    3. Eine automatisierte Datenanalyse der Informationsbestände der Strafverfolgungsbehörden sowie jede Form von Predictive Policing oder automatisiertes Profiling von Menschen wird abgelehnt. Die Kooperationen deutscher und US-Geheimdiensten wird eingeschränkt, insbesondere wird jede Art von automatisiertem Massenaustausch von Inhalts- oder Metadaten unterbunden.
    4. Die Überwachungsgesamtrechnung wird veröffentlicht, kontinuierlich fortgesetzt und der Umfang staatlicher Überwachungsbefugnisse dementsprechend gesetzgeberisch angepasst.

    II. Schutz und Sicherheit für alle

    IT-Angriffe wie die durch „Salt Typhoon“ zeigen die Gefahren staatlicher Hintertüren und unterstreichen: Die Stärkung von IT-Sicherheit und Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation ist eine Frage gesamtgesellschaftlicher Resilienz. Gleichzeitig steht unabhängige und zivilgesellschaftliche Sicherheitsforschung, die Sicherheitslücken zum Wohle der Gesellschaft aufdeckt, immer noch unter Generalverdacht und wird kriminalisiert. Sicherheitslücken in Software müssen von allen staatlichen Stellen im Rahmen eines Schwachstellenmanagements konsequent an die Hersteller zur Behebung gemeldet werden. Sicherheit und Schutz dürfen dabei keine Frage von Privilegien sein, sondern müssen für alle Menschen gelten, insbesondere für marginalisierte Menschen und Gruppen.

    Wir fordern:

    1. Es wird ein Recht auf Verschlüsselung eingeführt. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, die Chatkontrolle auf europäischer Ebene zu verhindern und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie die Vertraulichkeit von Kommunikation insgesamt zu schützen.
    2. IT-Sicherheitsforschung wird unterstützt statt kriminalisiert. Der Hackerparagraph wird abgeschafft. Es wird ein wirksames IT-Schwachstellenmanagement auch für Behörden eingeführt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik wird unabhängig aufgestellt.
    3. Die Bundesregierung setzt sich für wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutz ein, ohne dabei durch eine verpflichtende Altersverifikation die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen zu unterminieren. Die anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets wird geschützt und ermöglicht.
    4. Die Abschaffung der Bezahlkarte für Geflüchtete und die Einstellung von Handyauswertungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene gegen die Sammlung personenbezogener Daten geflüchteter Menschen einzusetzen und ihre Privatsphäre und Autonomie zu respektieren.

    III. Demokratie im digitalen Raum

    Private Überwachung und Machtkonzentration müssen bekämpft werden. Die willkürliche und antidemokratische Machtausübung der Tech-Oligarchen um Präsident Trump erfordert einen Paradigmenwechsel in der deutschen Digitalpolitik und ein erneuertes Bekenntnis zu dezentralen öffentlichen Räumen sowie der konsequenten Rechtsdurchsetzung durch föderale Aufsichtsstrukturen. Gesunde digitale Räume leben auch von einer resilienten Gesellschaft mit starken digitalen Kompetenzen und einem demokratischen Diskurs, in dem digitale Gewalt keinen Platz hat. Dazu fordern wir ein Gewaltschutzgesetz, das seinen Namen verdient, einen Ausbau der digitalen Bildung und die Förderung des digitalen Ehrenamts.

    Wir fordern:

    1. Privater Machtmissbrauch von Big-Tech-Unternehmen wird durch durchsetzungsstarke, unabhängige und grundsätzlich föderale Aufsichtsstrukturen bekämpft, insbesondere in den Bereichen der Plattformregulierung, des Datenschutzrechts und des Kartellrechts.
    2. Die Bundesregierung legt ein umfassendes Förderprogramm für digitale öffentliche Räume auf, die dezentral organisiert, gesellschaftlich eingebettet, interoperabel gestaltet und quelloffen programmiert sind.
    3. Ein digitales Gewaltschutzgesetz wird eingeführt, das Betroffene konsequent in den Fokus stellt. Dazu gehören auch die Reform der Impressumspflicht, die Berücksichtigung gruppenbezogener digitaler Gewalt und die Förderung von Beratungs- und Hilfsangeboten.
    4. Gute digitale Bildung, die Menschen befähigt und frei zugänglich ist, muss zur Priorität werden und allen gesellschaftlichen Gruppen, unabhängig von Alter und Bildungsgrad, zur Verfügung stehen. Wir fordern eine umfassende Strategie zur Förderung von Open Educational Resources und die Förderung des digitalen Ehrenamts.

    Liste der Unterzeichnenden (alphabetisch sortiert):

    1. Agora Digitale Transformation gGmbH
    2. AKTIVOLI-Laktandesnetzwerk Hamburg e.V.
    3. Amnesty International
    4. Anoxinon
    5. Attac Deutschland
    6. Chaos Computer Club
    7. D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt
    8. Das NETTZ
    9. Datenpunks
    10. Datenpunks Bremen
    11. Digitalcourage e.V.
    12. Digitale Freiheit e.V.
    13. Digitale Gesellschaft
    14. Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
    15. FrauenComputerZentrumBerlin e.V.
    16. Humanistische Union e.V.
    17. kleindatenverein
    18. LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
    19. netzbegrünung – Verein für grüne Netzkultur e.V.
    20. Open Knowledge Foundation Deutschland e. V.
    21. PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
    22. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)
    23. SUPERRR Lab
    24. Topio e.V.

    Stand: 05.03.2025, 15 Uhr. Aktuelle Unterzeichner: d-64.org/digitale-brandmauer

  • Insecurity by Design – offener Brief gegen die „GoingDark“ Pläne der EU

    Zusammen mit EDRi und ca. 50 anderen Organisationen der Zivilgesellschaft haben wir einen Offenen Brief gegen die Überwachungsagenda #GoingDark unterschrieben. Ziel der Arbeitsgruppe ist ein maximaler Zugang für Ermittlungsbehörden zu privaten Daten.

    Wir veröffentlichen hier die von der DVD erstellte deutsche Übersetzung des Dokuments.

    An den
    Rat für Justiz und Inneres („JI-Rat“, Justice and Home Affairs Council)
    nachrichtlich an:
    den Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit
    (Standing Committee on Operational Cooperation on Internal Security – COSI)
    den Koordinierungsausschuss für den Bereich der polizeilichen und justiziellen
    Zusammenarbeit in Strafsachen (Coordinating Committee in the area of police and judicial
    cooperation in criminal matters – CATS)
    Generaldirektorin Beate Gminder und stellv. Generaldirektor Olivier Onidi der
    Generaldirektion Migration und Inneres
    den Europäischer Datenschutzausschuss
    das Europäisches Parlament, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)

    11. Dezember 2024
    Offener Brief mit der Forderung, dass die EU-Agenda für digitale Sicherheit die
    Grundrechte fördert und ein sicheres digitales Ökosystem unterstützt


    Sehr geehrte Damen und Herren,
    wir, die unterzeichnenden Berufsverbände, Medienorganisationen, zivilgesellschaftlichen
    Gruppen, Gewerkschaften, Sozialverbände und Technologieunternehmen, schreiben Ihnen
    wegen der Notwendigkeit einer EU-Agenda für digitale Sicherheit, die Gerechtigkeit,
    Rechenschaftspflicht und die Achtung der Grundrechte gewährleistet und der Entwicklung
    eines sicheren digitalen Ökosystems dient.
    Wir sind insofern wegen den Empfehlungen und dem Bericht der Hochrangigen Gruppe
    (HLG) über den „Zugang zu Daten für eine wirksame Strafverfolgung“ besorgt1. Angesichts
    des umfassenden Strebens der HLG, den Strafverfolgungsbehörden den größtmöglichen
    Zugang zu personenbezogenen Daten zu gewähren, sehen wir hohe Risiken einer
    Massenüberwachung, für die Sicherheit und für den Schutz der Privatsphäre, sollten diese
    Empfehlungen als Grundlage für künftige politische Maßnahmen und Rechtsvorschriften der EU dienen.
    Wir fordern Sie daher dringend auf bei der Festlegung der EU-Prioritäten in diesem
    Politikbereich die folgenden Ratschläge zu berücksichtigen.


    Achtung der Grundrechte und Gewährleistung der Sicherheit und Vertraulichkeit des
    digitalen Raums

    Wir warnen davor, dass den Strafverfolgungsbehörden uneingeschränkte Befugnisse
    eingeräumt werden, die zu einer Massenüberwachung führen und die Grundrechte verletzen.

    Insbesondere das von der HLG unterstützte Konzept des „lawful access by design “2, das
    darauf abzielt den Datenzugang der Strafverfolgungsbehörden in die Entwicklung aller
    Technologien einzubeziehen, beunruhigt uns sehr. In der Praxis würde dieses die
    systematische Schwächung aller digitalen Sicherheitssysteme bedeuten, auch, aber nicht nur, in Bezug auf die Verschlüsselung. Dieses würde die Sicherheit und Vertraulichkeit
    elektronischer Daten und Kommunikationen untergraben, die Sicherheit aller Menschen
    gefährden und die Grundrechte der Menschen stark einschränken. Dieses Konzept steht im
    Widerspruch zu den immer wieder vorgetragenen Empfehlungen von
    Menschenrechtsorganisationen, Datenschutz- und Cybersicherheitsexperten sowie zur
    Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)3.

    Deshalb sollten alle Maßnahmen verworfen werden, die den durch die Verschlüsselung
    gewährten Schutz umgehen oder abschwächen, da damit die Sicherheit und der Schutz der
    Privatsphäre von Millionen von Menschen und öffentlichen Einrichtungen gefährdet und
    unweigerlich das gesamte digitale Ökosystem geschädigt würde.

    Zudem erinnern wir daran, dass jede künftige EU-weit harmonisierte Regelung zur
    Vorratsspeicherung von und zum Zugang zu Daten4 die in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für
    Menschenrechte (EGMR) verankerten rechtlichen Anforderungen zum Schutz der
    Grundrechte vor Massenüberwachung, zur Erforderlichkeit und zur Verhältnismäßigkeit
    beachten muss. Insofern ist die vorgeschlagene Ausweitung der Verpflichtung zur
    Vorratsdatenspeicherung auf praktisch alle Dienste der Informationsgesellschaft,
    einschließlich des Internets der Dinge und der internetbasierten Dienste5, besonders
    bedenklich, da sie zur ungezielten und wahllosen Speicherung personenbezogener Daten
    führen würde. Diese umfassende allgemeine Überwachung würde bei den Menschen das
    Gefühl ständigen Überwachtwerdens des Privatlebens hervorrufen, was nicht als mit den oben genannten Anforderungen vereinbar ist.


    Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und Unverletzlichkeit der geschützten
    Informationen

    Das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation gilt zwar nicht absolut,
    doch muss jeder Eingriff in die Grundrechte den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, der
    strikten Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Eine generelle und
    wahllose Vorratsspeicherung personenbezogener Daten, die die Erstellung detaillierter Profiledes Einzelnen ermöglicht, sowie Maßnahmen, die die Sicherheit der gesamten privaten Kommunikation untergraben, widersprechen diesen Grundsätzen.


    Solche allgemeinen und willkürlichen Maßnahmen betreffen auch Personen, deren
    Kommunikation dem Berufsgeheimnis unterliegt, also Ärzten und ihre Patienten, Journalisten und ihre Quellen, Rechtsanwälte und Sozialarbeiter und ihre Klienten. Der für diese Kommunikation gewährte Rechtsschutz ist eine unabdingbare Voraussetzung für die
    wirksame Ausübung anderer Grundrechte, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren
    und auf Verteidigung, der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit mit
    der Medien- und Pressefreiheit, der Gedanken- und Religionsfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie des Rechts auf soziale Unterstützung und Gesundheitsfürsorge.


    Wir befürchten, dass die geplanten weitreichenden Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zum Datenzugriff die Vertraulichkeit geschützter Kommunikation und damit verbundene Grundrechte beeinträchtigen würden. Es besteht die Gefahr, dass diese Maßnahmen zur Verfolgung von Journalisten, Menschenrechtlern, Anwälten, Aktivisten und politischen Dissidenten missbraucht werden. Es ist entscheidend, dass die EU die Unverletzlichkeit von Daten und anderen Beweismitteln garantiert, die dem (anwaltlichen) Berufsgeheimnis unterliegen.


    Unterstützung eines sicheren, vertrauenswürdigen und diversifizierten digitalen
    Ökosystems

    Verantwortungsbewusste Gerätehersteller und Diensteanbieter investieren erhebliche
    Ressourcen in die Verbesserung der Sicherheit ihrer Geräte und der Zuverlässigkeit ihrer
    Dienste. Damit wird nicht nur den Anforderungen der zunehmend datenschutzbewussten
    Nutzer genügt, sondern auch denen der Regulierungsbehörden, die für die Durchsetzung
    hoher Standards in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz zuständig sind. Die EU
    verfügt über den einzigartigen Vorteil eines Datenschutzrahmens, der einen hohen rechtlichen Standard für den Schutz der Grundrechte und Freiheiten der Menschen in einer Welt setzt, in der die Privatsphäre ständig angegriffen wird.


    Die Vision der HLG ist leider geeignet die Fähigkeit der Europäer künftig vertrauenswürdige
    digitale Werkzeuge zu wählen, zu untergraben. Den Betreibern sollen dadurch umfangreiche
    und manchmal widersprüchliche Verpflichtungen auferlegt werden. So sollen sie gezwungen werden mehr Nutzerdaten zu sammeln und zu speichern, als für die Bereitstellung ihrer Dienste erforderlich sind, das Abhören in Echtzeit6 zu ermöglichen und entschlüsselte Daten an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben ohne dabei die Sicherheit ihrer Systeme zu gefährden. Entgegen der Intention der HLG, die digitale Sicherheit zu wahren, besteht real keine technische Möglichkeit, das Versprechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu brechen, ohne die Sicherheit der Kommunikationssysteme zu schwächen. Eine Hintertür – oder jeder andere Umgehungsmechanismus –, der für die Strafverfolgung gedacht ist, kann immer auch von anderen Akteuren ausgenutzt werden, wie zahlreiche Beispiele gezeigt haben7.


    Zuletzt skizziert die hochrangige Gruppe auch einen besorgniserregenden
    Durchsetzungsrahmen, der harte Sanktionen zur Abschreckung und Bestrafung der
    Nichteinhaltung von EU-Verpflichtungen und Strafverfolgungsanordnungen vorsieht
    (Verwaltungssanktionen, Handelsverbot, Haftstrafen)8. Wir sehen dadurch die Gefahr, dass
    zuverlässige Anbieter sicherer Dienste, wenn sie kleine oder gemeinnützige Unternehmen
    sind, vom EU-Markt oder von Geschäftsfeldern verdrängt werden oder dass sie, wenn sie den Sitz in der EU haben, daran gehindert werden sichere Lösungen zu entwickeln. Dies wäre für die Initiativen und Ambitionen der EU im Bereich der Cybersicherheit natürlich äußerst nachteilig.


    Wir sind uns darüber im Klaren, dass die den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung
    stehenden Ermittlungsmaßnahmen dem digitalen Zeitalter angemessen sein und den
    einzigartigen Herausforderungen durch grenzüberschreitende Online-Dienste genügen
    müssen. Effizienz darf aber nicht auf Kosten einer Schwächung der Grundrechte, des
    Rechtsschutzes und der europäischen Wirtschaft erreicht werden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Ziele von allgemeinem Interesse mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreichbar sind als mit einer Massenüberwachung und einer systematischen Schwächung zentraler Sicherheitsgarantien.


    Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Berücksichtigung und stehen Ihnen für Rückfragen
    gerne zur Verfügung.


    Mit freundlichen Grüßen,


    (Die Unterzeichner)
    Access Now – ARTICLE 19, International – Association of European Journalists, Belgium
    (AEJ Belgium) – Bits of Freedom, Netherlands – Bolo Bhi, Pakistan – Centre for Democracy
    and Technology Europe (CDT Europe) – Chaos Computer Club (CCC), Germany – Civil
    Liberties Union for Europe (Liberties) – Committee to Protect Journalists (CPJ) – Community – Media Forum Europe (CMFE) – Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE) – Cryptee, Estonia – D3 – Defesa dos DIreitos Digitais, Portugal – Danes je nov dan, Slovenia – Datenpunks, Germany – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD), Germany – Deutscher Anwaltverein (German Bar Association) – Digital Rights Ireland – Digitale Gesellschaft, Germany – Digitale Gesellschaft, Switzerland – eco – Verband der
    Internetwirtschaft e.V. – Electronic Frontier Foundation (EFF), International – Electronic
    Privacy Information Center (EPIC), United States of America – Element – Epicenter.works –
    for digital rights, Austria – Eurocadres – EuroISPA – The European Association of Internet
    Services Providers – European Broadcasting Union (EBU) – European Digital Rights (EDRi)
    – European Federation of Journalists (EFJ) – European Magazine Media Association
    (EMMA) – European Newspaper Publishers’ Association (ENPA) – European Publishers
    Council (EPC) – Global Forum for Media Development (GFMD) – Global Network Initiative
    (GNI) – Heartland Initiative – IFEX – Initiative für Netzfreiheit, Austria – IT-Pol, Denmark –
    La Quadrature du Net, France – Ligue des droits humains, Belgium – Mailfence, Belgium –
    Malta Information Technology Law Association (MITLA) – News Media Europe (NME) –
    Nextcloud GmbH, Germany – Panoptykon Foundation, Poland – Politiscope, Croatia –
    Privacy International – Proton, Switzerland – SHARE Foundation, Serbia – South East
    Europe Media Organisation (SEEMO) – Statewatch, International – Tech Global Institute –
    Tuta Mail, Germany – Wikimedia Foundation


    Diesen offenen Brief im englischsprachigen Original finden Sie unter:
    https://www.datenschutzverein.de/wpcontent/
    uploads/2024/12/Open_Letter_on_HLG_Access_to_Data_for_Effective_Law_Enforc
    ement_Recommendations.pdf


    Die Themenseite von EDRi zum offenen Brief finden Sie hier:
    https://edri.org/our-work/shedding-light-we-address-the-flawed-going-dark-report

    1 Empfehlungen der High-Level Group on Access to Data for Effective Law Enforcement, https://homeaffairs.ec.europa.eu/document/download/1105a0ef-535c-44a7-a6d4-a8478fce1d29_en.
    2 Empfehlungen 22, 23, 25, 26.
    3 In der Rechtssache PODCHASOV gegen RUSSLAND entschied der EGMR, dass eine allgemeine Verpflichtung zur Schwächung der Verschlüsselung in einer demokratischen Gesellschaft unverhältnismäßig ist, nachdem er festgestellt hatte, dass Entschlüsselungsverpflichtungen „angeblich nicht auf bestimmte
    Personen beschränkt werden können und jeden wahllos betreffen würden, auch Personen, die keine Bedrohung für ein legitimes staatliches Interesse darstellen“.
    4 Empfehlungen 27 bis 32.
    5 Empfehlung 27 ii.
    6 Empfehlung 38.
    7 So waren beispielsweise die in den TLS/SSL-Protokollen eingebauten Schwachstellen ein Jahrzehnt lang auf
    Regierungswebsites zu finden, bevor sie 2015 behoben wurden:
    https://blog.cryptographyengineering.com/2015/03/03/attack-of-week-freak-or-factoring-nsa/. Weitere
    Beispiele sind der Hack der rechtmäßigen Abhöreinrichtungen von Vodafone in Griechenland, die sogenannte
    „Athener Affäre“, die das Abhören von über 100 Politikern ermöglichte, was schwerwiegende Folgen für die
    nationale Sicherheit hatte. Ein weiteres Beispiel aus jüngster Zeit ist der massive Cyberangriff, im
    Breitbandnetze der Vereinigten Staaten, einschließlich AT&T und Verizon, über die Kanäle, die von der USRegierung
    für gerichtlich genehmigte Abhörmaßnahmen in Breitbandnetzen genutzt werden:
    https://www.wsj.com/tech/cybersecurity/u-s-wiretap-systems-targeted-in-china-linked-hack-327fc63b.
    8 Empfehlungen 33 bis 36.

  • Die größte Enttäuschung seit Beginn der Ampel-Regierung. Zivilgesellschaft kritisiert das Sicherheitspaket.

    Die Zivilgesellschaft kritisiert die angepassten Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets, das am Mittwoch, den 16. Oktober 2024 im Innenausschuss des Bundestages beraten und noch diese Woche vom Parlament beschlossen werden soll.

    In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt das Bündnis „Gesichtserkennung Stoppen“:

    Das sogenannte Sicherheitspaket ist die größte Enttäuschung im Hinblick auf Bürgerrechte seit Beginn der Ampel-Regierung. Unter dem Eindruck des Anschlags in Solingen und mehrerer Landtagswahlen ist die Koalition von ihrem Anspruch auf eine vorausschauende, evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheits- und Innenpolitik abgerückt. Trotz der breiten Kritik der geladenen Sachverständigen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen sollen die weitgehenden neuen Befugnisse noch diese Woche beschlossen werden. Durch das Gesetzespaket erhalten Bundespolizei, BKA und BAMF neue Befugnisse mit beispielloser Reichweite. Die neuen Befugnisse zum biometrischen Abgleich bzw. zur Identifizierung anhand von allen im Internet öffentlich zugänglichen Daten und die automatisierte Datenanalyse durch Anbietende wie Palantir, Clearview, PimEyes und Co greifen tief in die Grundprinzipien einer offenen, freiheitlichen und selbstbestimmten Gesellschaft ein. Sie verstoßen gegen EU-Recht und die deutsche Verfassung und brechen die Versprechen des Koalitionsvertrages, gegen biometrische Massenüberwachung vorzugehen. Die vorliegenden Änderungsanträge können auch die Bedenken gegenüber dem Missbrauchspotenzial der neuen Befugnisse, der strukturellen Diskriminierung und der grundrechtsschonenden Durchsetzung nicht aus dem Weg räumen. Insbesondere mit Blick auf das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte sind das Sicherheitspaket und die darin enthaltenen Maßnahmen zutiefst besorgniserregend.

    Zudem nehmen wie folgt Stellung:

    Markus Korporal für die Datenpunks: „Wir appellieren an die Ampel, mit einem positiven und solidarischen Gesellschaftsentwurf gegen Hass und rechte Narrative anzutreten, anstatt diese auch noch in Gesetzesform zu gießen. Lediglich als Echokammer für Faschisten zu dienen, darf nicht der Anspruch einer als Fortschrittskoalition angetretenen Regierung sein.“

    Svea Windwehr, Co-Vorsitzende von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt: „Das Sicherheitspaket macht unsere Gesellschaft unsicherer und schwächt unsere Demokratie. Der angebliche Gewinn an Sicherheit steht in keinem Verhältnis zu dem massiven Eingriff in Grundrechte wie dem Recht auf Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung. Auch die Änderungsanträge der Ampel-Fraktionen können die fundamentalen Bedenken am sogenannten Sicherheitspaket nicht ausräumen. Es bleibt zudem unklar, wie die Maßnahmen mit europäischen Vorgaben vereinbar sein sollen. Damit hält die Ampel an einem Kurs fest, der populistische Narrative stärkt, Rechte von besonders Schutzbedürftigen untergräbt und die Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages bricht.“

    Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch: „Die Bemühungen einzelner Ampel-Parlamentarier*innen, das „Sicherheitspaket“ so zu ändern, dass es nicht gegen Grundrechte verstößt, beruhigen uns nicht im Geringsten. Es gibt keine Möglichkeit, Bilder von Verdächtigen mit denen aus dem Internet zu vergleichen, ohne eine Super-Datenbank mit Bildern von allen anzulegen. Das gefährdet die Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Autonomie in einer demokratischen Gesellschaft. Die Begründung, dass dadurch Morde wie in Solingen verhindert würden, ist höchst zweifelhaft. Stattdessen wird die Debatte befeuert, Migration gefährde die Sicherheit . Das ist falsch und Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Wir lehnen das Gesetz weiterhin ab und werden nach Wegen suchen, es zu verhindern, im Zweifel mit einer Verfassungsbeschwerde. Wir setzen auf zielgerichtete Polizeiarbeit, mit der Verbrechen verfassungs- und bürgerrechtskonform verhindert und aufklärt werden.“

    Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland: „Die Änderungen in einzelnen Bereichen haben das grundsätzliche Problem nicht behoben: Künftig müssten alle Menschen, die im Internet Fotos, Videos oder Tonaufnahmen hochladen, damit rechnen, dass diese mit biometrischer Überwachungstechnologie durchsucht und analysiert werden dürfen. Das hat einschüchternde Auswirkungen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Es kann von menschenrechtsfeindlichen politischen Kräften missbraucht werden. Und laut technischen Expert*innen müssten dafür riesige Datenbanken aufgebaut werden, die von der KI-Verordnung verboten sind. Auch Racial Profiling wird durch die Maßnahmen weiterhin gefördert. Die grundsätzlichen Kritikpunkte bleiben also bestehen und sind so schwerwiegend, dass das Maßnahmenpaket vollständig in den Schredder gehört.“

    Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die vorliegenden Änderungsanträge sind lediglich Augenwischerei im Hinblick auf die geplante biometrische Massenüberwachung. Die Bundesregierung ignoriert weiterhin die Fehleranfälligkeit und die Risiken von KI. Sie schafft die Grundlage für eine dystopische Zukunft, in der niemand mehr anonym im öffentlichen Raum oder im Internet unterwegs sein kann. Als Reaktion auf ein solches Gesetz müssten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Überwachungsmaßnahmen sabotiert und abgeschaltet werden können.“

    Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft: „Die Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets wäre die endgültige Abkehr der Ampel-Koalition vom Anspruch einer den Grundrechten verpflichteten Sicherheitspolitik. Die kleinen Änderungen, die nun eingefügt werden sollen, sind rein kosmetisch und ändern nichts daran, dass die Maßnahmen zu einem massiven Ausbau biometrischer Massenüberwachung, willkürlichen Polizeikontrollen und einer weitgehend entgrenzten Datenverarbeitung führen werden. Das ist die Agenda autoritärer Populisten und nicht die einer  „Fortschrittskoalition“.“

    Teresa Widlok von LOAD e.V.: „Das sogenannte Sicherheitspaket führt die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für biometrische Überwachung und eine polizeiliche Superdatenbank ein. Zwar haben die Verhandler an vielen Stellen Schutzmaßnahmen eingebaut, die auch teilweise sehr erheblich sind – doch auch das ist letztlich nur Flickschusterei. Das eigentliche Problem ist, dass solche digitalen Befugnisse überhaupt zur Diskussion stehen. Im Windschatten der Empörung über Solingen haben die Sicherheitsbehörden ihre Chance gewittert und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um die Idee eines anonymen Internets weiter zu untergraben. Die Ergebnisse der aktuell noch laufenden Überwachungsgesamtrechnung wurden ebenfalls nicht abgewartet. Die Büchse der Pandora für noch weitergehende Überwachungsbefugnisse ist damit geöffnet.“

    Caroline Krohn von der AG Nachhaltige Digitalisierung stellt fest: Die Parlamentarier*innen sind von dem populistischen Gesetzesvorhaben überrumpelt worden. Hinter vorgehaltener Hand hält kaum ein*e Abgeordnete*r der regierungsnahen Fraktionen die Maßnahmen für effektiv, richtig und/oder moralisch vertretbar. Partei-, fraktions-, koalitionsinterne Zwänge sowie machtpolitisches Kalkül zwingen die Abgeordneten, sich von ihrem eigenen Gewissen und der Kontrollfunktion des Parlaments abzuwenden und sich der Gesetzesvorgabe zu beugen – zu Lasten der Freiheit und der Selbstbestimmung aller und zu Lasten der akuten Sicherheit und Unversehrtheit vulnerabler Gruppen, die bei all dem Feilschen um bessere Formulierungen in den Verhandlungsrunden schlicht keine Rolle gespielt zu haben scheinen. Dieses Gesetz gehört in Gänze verworfen. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder des Bundestages den Mut dazu finden. 

    Lotte Burmeister von Digitale Freiheit: „Eine Hose runter, alle Hosen runter – Das Vorhaben verkennt die technische Unmöglichkeit, nur Gesichter von Tatverdächtigen aus dem Internet zu ziehen. Stattdessen wird eine staatliche „Gesichterdatenbank“ bestehend aus Fotos von Social Media Rückschlüsse auf unser aller sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Arbeitgeber bieten. Wenn die Ampel-Parteien noch glaubwürdig sein möchten, sollten sie auf eine solche Rechtsgrundlage verzichten und stattdessen wie im Koalitionsvertrag angelegt ein umfassendes nationales Verbot biometrischer Massenüberwachung im öffentlichen Raum beschließen.“

    Bildmaterial

    Bilder des Bündnisses Gesichtserkennen Stoppen bei der Demo gegen das Sicherheitspaket finden Sie hier:
     https://cloud.d-64.org/s/QxXZpJEy8KJBJ46 

    Alle Bildunterschriften: Das Bündnis Gesichtserkennen Stoppen stellt sich gegen das Sicherheitspaket

    Alle Foto-Credits: Gesichtserkennen Stoppen

    Hintergrundinformationen

    Stellungnahme von AlgorithmWatch für das Bündnis: 
     https://algorithmwatch.org/de/stellungnahme-sicherheitspaket/ 

    Bündnis-Seite:
    https://gesichtserkennung-stoppen.de/