Autor: Markus

  • Alle werden überwacht: Biometrische Überwachung im Internet stoppen!

    Alle werden überwacht: Biometrische Überwachung im Internet stoppen!

    Zivilgesellschaftliche Organisationen wenden sich gegen die aktuellen Pläne des Bundesinnenministeriums, die KI-gestützte Überwachung der Bevölkerung deutlich auszubauen. Ähnliche Vorhaben waren bereits von der Ampel-Regierung geplant, wurden von Sachverständigen jedoch scharf kritisiert, da bereits damals erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der geplanten Befugnisse mit höherrangigem Verfassungs- und Europarecht bestanden.

    Der offene Brief kritisiert insbesondere die erneut geplante umfassende biometrische Überwachung im Internet und die KI-gestützte Analyse polizeilicher Datenbanken durch private Unternehmen wie Palantir scharf.


    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,
     sehr geehrter Herr Vizekanzler Klingbeil,
     sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern Dobrindt,
     sehr geehrte Frau Bundesministerin der Justiz Hubig,

    der bekannt gewordene Referentenentwurf zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“ zeigt, dass die Bundesregierung massenhafte biometrische Überwachung sowie KI-gestützte „Superdatenbanken“ einführen möchte.

    Konkret sieht der Entwurf zum einen vor, das gesamte öffentliche Internet, insbesondere also auch Social Media-Plattformen und öffentliche Chat-Gruppen, mit den biometrischen Daten gesuchter Personen abzugleichen. Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen diese Befugnis nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten, sondern als Standardmaßnahme für nahezu alle Tätigkeiten, die in ihren Aufgabenbereich fallen, insbesondere auch zur Identifikation und Aufenthaltsermittlung von Personen, die keiner Straftat verdächtig sind. Gleiches gilt für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das dieses Instrument ohne jeden Bezug zu einer Straftat oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Feststellung der Identität von Personen nutzen können soll.

    Ein solcher Abgleich von biometrischen Daten ist technisch jedoch nur möglich, wenn riesige Gesichtsdatenbanken aller Menschen, die im Internet abgebildet sind, angelegt werden. Solche Gesichtsdatenbanken sind nach Artikel 5 der KI-Verordnung eine verbotene Praxis, da sie Massenüberwachung und umfassende Profilbildung ermöglichen und zu schweren Verstößen gegen Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, führen können. Sie können außerdem zu einem Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung führen. So könnten es Menschen etwa vermeiden, Fotos und Videos im Netz zu teilen oder Tätigkeiten nachzugehen, von denen Aufnahmen im Netz veröffentlicht werden könnten.

    Wir fordern Sie daher auf, sich gegen jede Form der biometrischen Auswertung des Internets in Deutschland einzusetzen.

    Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, es zukünftig Bundespolizei und Bundeskriminalamt zu ermöglichen, automatisiert persönliche Daten aus bisher getrennten Datenbanken in eine „Superdatenbank“ zusammenzuführen und zur Analyse weiterzuverarbeiten. Diese KI-gestützte Auswertung riesiger Datenmengen birgt erhebliche Risiken für Grund- und Menschenrechte. Sie ermöglicht die umfassende Profilbildung von Individuen und beschränkt sich nicht auf Tatverdächtige, sondern umfasst auch Opfer, Zeugen und andere Personen, die zufälligerweise in polizeilichen Datenbanken erfasst sind. Die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse für die Polizeibehörden ist nicht gesichert, wenn private Unternehmen den zugrundeliegenden Code nicht offenlegen und bereits an sich unzureichend nachvollziehbare KI-Elemente integriert sind. Der Einsatz von KI birgt zudem ein hohes Risiko für die Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen der Bevölkerung. Bisherige Gesetzesgrundlagen für solche automatisierten Auswertungen in Hessen und Hamburg sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er bringt also erhebliche rechtliche Unsicherheiten mit sich.

    Ganz besonders bedenklich ist der laut aktueller Berichterstattung geplante Einsatz von Palantir zur Umsetzung der automatisierten Datenanalysen. Palantir ist eng verbunden mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel, der bekennender Anhänger der Trump-Regierung und explizit der Auffassung ist, dass Demokratie nicht mit Freiheit vereinbar sei. Beim Einsatz von Palantir erhält das US-Unternehmen beziehungsweise seine Tochtergesellschaften Zugriff auf alle Daten der Polizeibehörden und kann sie potenziell in die USA übermitteln. Der Einsatz der Software gefährdet daher auch in ganz erheblichem Maße die digitale Souveränität Deutschlands.

    Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen. Palantir darf nicht in Deutschland eingesetzt werden.

    Insgesamt sieht der Referentenentwurf Maßnahmen vor, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vermuteten Gewinn an Sicherheit stehen. Als Zivilgesellschaft haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung Gesetze vorlegt, die nicht ständig an der Grenze der Verfassungswidrigkeit und des Europarechts – und sogar darüber hinaus – segeln. Solche Gesetze führen nicht nur zu Grundrechtsverletzungen und Überwachung von Unschuldigen, sondern auch zu jahrelanger Rechtsunsicherheit, in der sich die Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Instrumente verlassen können. In der Vergangenheit wurde viel Geld und Zeit – beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung – verloren, die man in die grundrechtskonforme Weiterentwicklung der Strafverfolgungsbehörden hätte investieren können.

    Nicht zuletzt im Kontext erstarkender rechtsextremer Parteien muss der Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur, wie sie das Gesetzespaket durch biometrische Abgleiche und KI-Datenanalyse vorsieht, verhindert werden. Demokratische Kräfte müssen vielmehr gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren.

    Wir fordern Sie deshalb dazu auf, den aktuellen Entwurf zurückzuziehen und sich stattdessen für grundrechtskonforme Polizeiarbeit und für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

    Mit freundlichen Grüßen

    AG KRITIS

    AlgorithmWatch

    Amnesty International Deutschland

    Anoxinon e.V.

    Chaos Computer Club

    D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt

    Datenpunks e.V.

    Deutsche Aidshilfe

    Digitale Freiheit

    Digitale Gesellschaft e.V.

    Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)

    Humanistische Union e.V.

    Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.

    kleindatenverein

    LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik

    netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik

    Pena.ger, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete

    Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)

    SUPERRR

    Topio e.V.

  • Unwirksam und repressiv: Messerverbotszonen in Bielefeld

    Im schönen Bielefeld, der primären Wirkungsstätte der Datenpunks gibt es etwas Neues: Mit dem heutigen Tage glänzt die Innenstadt mit einer schicken Messerverbotszone.
    Gut, die Schilder hängen noch nicht alle, die kreativen Öffnungszeiten (ich weiß es doch auch nicht…) sind schwer zu merken, aber unsere Polizeipräsidentin versichert:

    „[…]jede und jeder muss damit rechnen, dort im Hinblick auf das Führungsverbot von Waffen und Messern von der Polizei kontrolliert zu werden.“.

    Ich bin mir ziemlich sicher dass einige Leute öfter jede und jeder sind als andere Leute.

    Die Einrichtung einer Messerverbotszone erweitert die polizeilichen Befugnisse schon recht umfassend. Insbesondere dürfen Personen und ihre Taschen verdachtsunabhängig nach jeglicher Art von Messer durchsucht werden – selbst die Abriegelung einer Messerverbotszone und die Durchsuchung aller darin befindlichen Personen ist damit rechtlich abgesichert.
    In Darmstadt wird auch gerne mal ein Bus oder eine Stadtbahn angehalten, um allen Mitfahrenden noch einmal zu verdeutlichen, dass sie gefälligst Auto zu fahren haben, wenn sie ihre Bürgerrechte in Deutschland gewahrt wissen wollen.

    Aber hey, das ist doch ein kleiner Preis dafür, dass wir alle besser vor den Messermännern geschützt sind, vor denen uns Alice Weidel so sorgenvoll wie uneigennützig warnt. Oder etwa nicht?

    Forscher:innen der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, kurz KrimZ, haben 2024 „Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland“ [link.springer.com] untersucht.
    Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass derzeit kein „unmittelbarer kriminalpolitischer Handlungsbedarf“ besteht.
    Da es nur wenige verlässliche Zahlen gibt, können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht eindeutig belegen, dass Messerkriminalität in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen hat.

    Ausserdem gibt es gar keine richtige Definition dafür, was unter „Messerkriminalität“ in der Kriminalstatistik landet – selbst sichergestellte Messer in Messerverbotszonen zählen hier. Heisst: Je mehr Messerverbotszonen eingerichtet werden, desto mehr Delikte für die Statistik werden festgestellt.

    Die meisten Messerangriffe finden laut der KrimZ-Studie im „privaten Raum unter Bekannten“ statt und als geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Frauen und queeren Menschen.

    Die oft herangezogene Polizeiliche Kriminalstatistik steht seit Jahren als wissenschaftlich dürftig in der Kritik. Der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Goethe Universität Frankfurt definiert sie in der „Zeit“ als „Tätigkeitsbericht der Polizei, mehr nicht“, und führt aus: „die Statistik spiegelt nur das wider, was die Polizei sehen kann und erfassen will“ [www.zeit.de].

    In Sachsen zeigt eine Evaluation der Waffenverbotszone in Leipzig [static.leipzig.de], dass die Zahl der Delikte seit Einrichtung der dortigen Verbotszone für kurze Zeit verringert werden konnte, wenn mehr Polizeikontrollen durchgeführt worden sind. Allerdings sind sie im Anschluss jeweils wieder angestiegen – wenn auch auf niedrigerem Niveau als im ersten Zeitraum der Einführung der Waffenverbotszone. Nicht einmal das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger:innen hat sich in Leipzig verbessert. Dort wird nun die Waffenverbotszone wieder rückabgewickelt.

    Wenn Waffenverbotszonen also nicht wirklich einen Einfluss darauf haben, dass Waffengewalt passiert, höchstens wo sie passiert, wieso der ganze Aufriss?

    BKA-Präsident Holger Münch fasst in einem „Zeit“-Interview [www.bka.de] ganz gut zusammen:

    „Es geht ja nicht nur darum, ein Verbot auszusprechen, sondern auch einen Anlass zu schaffen, kontrollieren zu dürfen.“

    Innerhalb von Waffenverbotszonen ist racial profiling vorprogrammiert: Natürlich werden migrantisch gelesene, junge und männliche Bürger häufiger kontrolliert. Wie nachhaltig so etwas das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Organe beschädigt, sollte klar sein.

    Ein weiterer Aspekt ist die Stigmatisierung von ganzen Stadtteilen durch die Einrichtung einer Waffenverbotszone dort. Anwohner:innen werden in eine Schublade gesteckt, ihr Selbstverständnis als gleichberechtigter Teil der Stadtgesellschaft ändert sich und führt im Schlimmsten Fall dazu, dass die Prophezeiung eines Kriminalitätsschwerpunkts sich selbst erfüllt.

    Sinnvoller wären soziale Projekte und Programme zur Gewaltprävention. Wir müssen über toxische Männlichkeit sprechen und in den Schulen Trainings zu Empathie und Konfliktlösung anbieten. Sicherheit durch Mietendeckel, Mindestlohn, psychologische Versorgung ohne monatelange Wartezeiten und eine Perspektive für Geflüchtete durch zügig bewilligte Asylanträge wären Maßnahmen, die eher für sozialen Frieden sorgen würden als die Taschen von Leuten in der Innenstadt zu durchforsten.

    Oder wir freuen uns über nutzlose Symbolpolitik, und dass wir „schon dem ein oder anderen potenziellen Täter das Messer weggenommen“ haben, wie NRW-Innenminister Herbert Reul sagt [www1.wdr.de].

  • Mut zu Transparenz: Öffentliche Sitzungen im Digitalausschuss

    Sehr geehrter Herr Durz,
    sehr geehrte Frau Lührmann,
    sehr geehrte Frau Hoppermann,
    sehr geehrter Herr Schätzl,
    sehr geehrte Frau Dillschneider,
    sehr geehrte Frau Vogtschmidt,


    unseres Wissens wurde für diese Wahlperiode eine Verfahrensregelung für den Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung getroffen, die vorsieht, dass der Ausschuss grundsätzlich nicht öffentlich tagt, es sei denn, die Öffentlichkeit wird beschlossen.

    Zudem entsteht der Eindruck, dass zumindest die Koalitionsfraktionen vorhaben, selten oder nie von der Möglichkeit der Öffnung Gebrauch zu machen.


    Im Vergleich zur Handhabe während der letzten Legislaturperiode wäre dies ein Rückschritt für die Transparenz der Arbeit des Ausschusses. Diese Entwicklung sehen wir, Vertreterinnen und
    Vertreter der Zivilgesellschaft, mit großer Sorge.


    Transparenz ist ein wertvolles Gut und notwendig, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu stärken. Die Öffentlichkeit der Sitzungen des Digitalausschusses in der vergangenen
    Wahlperiode hat es uns, Expertinnen und Experten aus Zivilgesellschaft, ermöglicht, Debatten mitzuverfolgen und unsere Expertise einzubringen. Dadurch, dass Informationen direkt zur
    Verfügung standen, konnten wir die fachspezifischen Debatten des Ausschusses in die Öffentlichkeit tragen.


    Wie der Koalitionsvertrag richtig erkennt, ist Digitalpolitik Macht- und Gesellschaftspolitik.


    Die Gestaltung der Digitalisierung geht uns alle an und muss deshalb öffentlich diskutiert werden können. In der vergangenen Legislaturperiode konnten wir so eine Bandbreite an Themen vom
    Data-Governance-Gesetz, über digitale Identitäten und die Umsetzung der europäischen Verordnung über Künstliche Intelligenz bis zum Digitale-Dienste-Gesetz begleiten und einer breiteren Öffentlichkeit näherbringen.


    Digitale Gesetzgebung berührt Grundrechte, Machtverhältnisse und gesellschaftliche Zukünfte. Intransparenz gefährdet das Demokratieprinzip, das Recht auf Information und widerspricht dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf öffentliche Kontrolle parlamentarischer Prozesse.


    Gerade in einer Zeit, in der staatliches Handeln zunehmend digital vermittelt wird, braucht es mehr – nicht weniger – demokratische Öffentlichkeit. Alles andere wäre ein struktureller Rückschritt. Wir halten die neue Verfahrensregelung deshalb für falsch.


    Eine erfolgreiche digitale Transformation, die Modernisierung unseres Staates und die Digitalisierung der Verwaltung brauchen die Mitwirkung von uns allen. Sie können nur im konstruktiven Zusammenspiel von Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft gelingen.


    So wie von der Zivilgesellschaft Impulse für zukunftsfähiges Handeln und die Bereitstellung von Sachverstand erwartet werden, erwarten wir von Ihnen Transparenz und Möglichkeiten zur Partizipation und öffentlichen Diskussion.


    Die Angst vor einer rechtsextremen Instrumentalisierung der Öffentlichkeit darf gerade bei der Frage der Digitalisierung und Staatsmodernisierung nicht handlungsleitend sein. Veränderung
    erfordert Mut – auch den Mut zur Transparenz.


    Wir fordern Sie daher auf, den Digitalausschuss grundsätzlich öffentlich tagen zu lassen.

    Mit den besten Grüßen (in alphabetischer Reihenfolge)


    AG KRITIS
    AlgorithmWatch
    Amnesty International
    Chaos Computer Club
    CorrelAid e. V.
    D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt
    Datenpunks Bremen
    Datenpunks e.V.
    Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
    Digitalcourage e.V.
    Digitale Gesellschaft e.V.
    FrauenComputerZentrumBerlin (FCZB)
    Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
    kleindatenverein
    LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
    netzbegrünung e. V.
    netzforma* e.V.
    Structural Integrity
    SUPERRR Lab
    Topio e.V.
    Wikimedia Deutschland e.V.

    Der offene Brief als PDF

  • Appell zum Schutz von Verschlüsselung für die Gesellschaft

    Appell zum Schutz von Verschlüsselung für die Gesellschaft

    PDF-Version

    Sehr geehrter Herr Bundesminister Dobrindt,

    Verschlüsselung ist eine unverzichtbare Technologie für die Sicherheit Deutschlands und der EU. Als Voraussetzung für sichere und vertrauliche Kommunikation im digitalen Zeitalter ist Verschlüsselung das Fundament, auf dem sowohl die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen als auch die Resilienz von demokratischen Institutionen aufgebaut sind. Als zivilgesellschaftliche Initiative appellieren wir darum an Sie, sich für den Schutz von Verschlüsselung einzusetzen.

    Die Europäische Kommission hat am 11. Mai 2022 den Entwurf einer „Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ (CSA-Verordnung) vorgelegt. Es ist unbestritten, dass Kindern vor sexualisierter Gewalt geschützt werden müssen, und dass Staat und Gesellschaft hier entschieden agieren müssen. Eine Vielzahl an Gutachten und Stellungnahmen von Sachverständigen hat aber festgestellt, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen dieses Ziel nicht effektiv oder verhältnismäßig erreichen würden. 1 2

    Stattdessen würden mit der sogenannten Chatkontrolle – welche der Kritik an dem Gesetzesvorschlag ihren Namen gegeben hat – die IT-Sicherheit und Privatsphäre aller Menschen in der EU anlasslos und massenhaft unterminiert. Ein solcher Eingriff in die Grundrechte aller Menschen, einschließlich Betroffener, wäre auch nach Ansicht des Deutschen Kinderschutzbundes für den effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualiserter Gewalt nicht zielführend.3

    Die Bestrebungen der Europäischen Kommission würden das Ende verschlüsselter und vertraulicher Kommunikation bedeuten. In einer Zeit der täglich zunehmenden Cyberangriffe würde dies nicht nur einen massiven Eingriff in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger bedeuten, sondern auch immense Gefahren im Bereich der Cybersicherheit mit sich bringen.

    Der Gesetzesvorschlag sieht das Scannen sämtlicher Nachrichteninhalte aller Bürgerinnen und Bürger vor. Mit dem Fernmeldegeheimnis und dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme setzt die Chatkontrolle gleich zwei fundamentale Grundrechte außer Kraft. Nutzerinnen und Nutzer verlieren die Kontrolle darüber, welche Daten sie wie mit wem teilen. Sie verlieren das Grundvertrauen in ihre eigenen Geräte.

    Des weiteren schießen die vorgesehenen Maßnahmen am Ziel vorbei. Kriminelle nutzen bereits heute alternative Kommunikationswege, die nicht von der Verordnung erfasst wären oder diese umgehen. Außerdem verschlüsseln sie ihre Daten zusätzlich, wodurch sie den geplanten Scans leicht entgehen können. Stattdessen würden unzählige Unschuldige betroffen. Selbst geringe Fehlerquoten der eingesetzten KI-Systeme würden zu massenhaften Falschmeldungen führen.4 So würden Ermittlungsbehörden überlastet und von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten.

    In der Vergangenheit sind insbesondere Jugendliche selbst verdächtigt worden – auch wenn diese einvernehmlich miteinander kommuniziert haben.5 Eine repräsentative Umfrage hat gezeigt, dass zwei Drittel der Jugendlichen in der EU die Chatkontrolle ablehnen.6

    Als Vertretung der Zivilgesellschaft sind wir zutiefst besorgt über die drohenden Konsequenzen für unsere Demokratie. Die Chatkontrolle wäre nicht vereinbar mit europäischen Grundrechten und dem Grundgesetz. Dies haben zahllose Gutachten bestätigt, einschließlich solche der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages,7 des Europäischen Parlaments8 und des Rates der EU9. Eine allgemeine und anlasslose Überwachung der privaten Kommunikation ist mit dem Recht auf Privatsphäre und dem Schutz personenbezogener Daten unvereinbar.

    Im Moment läuft das Gesetzgebungsverfahren zur CSA-Verordnung in den EU-Institutionen. Aufgrund der zahlreichen Bedenken an der Chatkontrolle hat das Europäische Parlament eine Position verabschiedet, welche sich gegen eine anlasslose Chatkontrolle wendet und stattdessen auf zielgerichtete Ermittlungsbefugnisse und auf dringend notwendige Maßnahmen zur Prävention solcher Taten und zur Unterstützung von betroffenen Kindern und Jugendlichen setzt. Im Rat der EU ist auch nach mehreren Anläufen bislang keine Einigung erfolgt.

    Nach unserem Kenntnisstand hat sich die Deutsche Bundesregierung stets konstruktiv in die Verhandlungen im Rat der EU eingebracht. Die von Deutschland bisher vorgetragene Position ist die Forderung effektiven Kinderschutz und gleichzeitig das Recht auf sichere Verschlüsselung sicherzustellen. Wir appellieren an Sie, Herr Innenminister Dobrindt, an dieser klaren Position und damit an der Ablehnung der Chatkontrolle festzuhalten.

    Statt auf ineffektive und grundrechtswidrige Überwachungsmaßnahmen zu setzen, welche die Cybersicherheitslage in Deutschland massiv verschlechtern würden, sollten wir in den Ausbau der Ermittlungskapazitäten und in die Stärkung von Institutionen investieren, die sich aktiv für den Schutz von Kindern einsetzen.

    Mit diesem Brief möchten wir Sie zum direkten Austausch zu dem Thema einladen und anbieten, auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit unserer Expertise zur Verfügung zu stehen.

    Für das Bündnis Chatkontrolle STOPPEN!
    Mitzeichnende Organisationen:

    • Amnesty International Deutschland
    • Anoxinon e.V.
    • Chaos Computer Club
    • CILIP / Bürgerrechte und Polizei
    • D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt
    • Dachverband der Fanhilfen
    • Datenpunks
    • Datenpunks Bremen
    • Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
    • Deutscher Fachjournalistenverband (DFJV)
    • Digitale Freiheit
    • Digitale Gesellschaft e.V. (Deutschland)
    • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF e.V)
    • Frauen Computer Zentrum Berlin e.V. (FCZB)
    • Gesellschaft für Informatik (GI)
    • Giordano-Bruno-Stiftung (gbs)
    • Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
    • Komitee für Grundrechte und Demokratie
    • LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
    • Kleindatenverein
    • MOGIS e.V. – eine Stimme für Betroffene
    • SUPERRR Lab
    • Whistleblower-Netzwerk

    Fussnoten:


    1. Öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschuss Digitales zur Chatkontrolle, 1. März 2023: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw09-pa-digitales-928540 ↩︎

    2. Sammlung Stellungnahmen und Gutachten zur Chatkontrolle (Übersichtssteite auf Englisch):
      https://edri.org/our-work/most-criticised-eu-law-of-all-time/ ↩︎

    3. Stellungnahme Kinderschutz Bundesverband e.V. zur öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschuss Digitales zur Chatkontrolle, 1. März 2023: https://www.bundestag.de/resource/blob/935798/Stellungnahme-Tuerk.pdf ↩︎

    4. Stellungnahme Chaos Computer Club zur öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschuss Digitales zur Chatkontrolle, 1. März 2023: https://www.bundestag.de/resource/blob/935528/Stellungnahme-Eickstaedt.pdf ↩︎

    5. Interview mit Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg : https://netzpolitik.org/2023/kriminalpraevention-dontsendit-wie-minderjaehrige-unter-kinderpornografie-verdacht-geraten/↩︎

    6. Repräsentative Umfrage unter 8000 Jugendlichen zwischen 13-18 Jahren aus 13 Ländern in Europa: https://netzpolitik.org/2023/europaweite-umfrage-zwei-drittel-aller-jugendlichen-gegen-chatkontrolle/↩︎

    7. Wissenschaftlicher Dienst Bundestag: https://www.bundestag.de/resource/blob/914580/
      9eba1ff3a5daa7708fca92e3184a1ae3/WD-10-026-22-pdf-data.pdf
      ↩︎

    8. Wissenschaftlicher Dients des Europäischen Parlaments (EPRS): https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2023/740248/EPRS_STU(2023)740248_EN.pdf↩︎

    9. Juristischer Dienst des Rats der Europäischen Union: https://www.bitsoffreedom.nl/wp-content/uploads/2023/
      05/20230426-opinion-legal-services-on-csar-proposal.pdf
      ↩︎
  • Eine digitale Brandmauer errichten

    Eine digitale Brandmauer errichten

    Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern die neue Bundesregierung auf, eine digitale Brandmauer gegen den Faschismus zu errichten. Diese digitale Brandmauer muss Missbrauchspotentiale minimieren, Menschen und gesellschaftliche Gruppen ermächtigen sowie Menschenrechte und demokratische Werte, insbesondere Freiheit, Gleichheit und Solidarität, schützen und fördern. Die aktuellen Geschehnisse in den USA zeigen auf, wie Datensammlungen und -analyse genutzt werden können, um einen Staat handstreichartig zu übernehmen, seine Strukturen nachhaltig zu beschädigen, Widerstand zu unterbinden und marginalisierte Gruppen zu verfolgen.

    Der Koalitionsvertrag muss sich daher an diesen zwölf Mindestanforderungen messen lassen:

    I. Bekenntnis gegen Überwachung

    Es ist ein Irrglaube, dass zunehmende Überwachung einen Zugewinn an Sicherheit darstellt. Sicherheit erfordert auch, dass Menschen anonym und vertraulich kommunizieren können und ihre Privatsphäre geschützt wird. Zu oft werden aktionistische Vorschläge wie die Chatkontrolle, Vorratsdatenspeicherung oder biometrische Überwachung als technische Allheilmittel für komplexe gesellschaftliche Herausforderungen präsentiert – ohne ihre massiven Missbrauchspotenziale zu berücksichtigen. Stattdessen braucht es eine evidenzbasierte Politik, die differenzierte Lösungsansätze ohne Massenüberwachung verfolgt. Es ist die Aufgabe des Staates, Grundrechte zu schützen. Dazu gehört insbesondere auch, den Missbrauch von Maßnahmen, Befugnissen und Infrastrukturen durch die Feinde der Demokratie zu verhindern, heute und in Zukunft.

    Wir fordern:

    1. Die biometrische Massenüberwachung des öffentlichen Raums sowie die ungezielte biometrische Auswertung des Internets wird verboten. Insbesondere wird aktiv gegen jede Form von Datenbank vorgegangen, die ungezielt Bilder, Videos und Audiodateien aus dem Internet nach biometrischen Merkmalen auswertet. Die entsprechenden Befugnisse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge werden zurückgenommen.
    2. Anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung wird abgelehnt. Stattdessen werden grundrechtsschonende und effektivere Maßnahmen der Strafverfolgung wie das Quick-Freeze-Verfahren und die Login-Falle verfolgt.
    3. Eine automatisierte Datenanalyse der Informationsbestände der Strafverfolgungsbehörden sowie jede Form von Predictive Policing oder automatisiertes Profiling von Menschen wird abgelehnt. Die Kooperationen deutscher und US-Geheimdiensten wird eingeschränkt, insbesondere wird jede Art von automatisiertem Massenaustausch von Inhalts- oder Metadaten unterbunden.
    4. Die Überwachungsgesamtrechnung wird veröffentlicht, kontinuierlich fortgesetzt und der Umfang staatlicher Überwachungsbefugnisse dementsprechend gesetzgeberisch angepasst.

    II. Schutz und Sicherheit für alle

    IT-Angriffe wie die durch „Salt Typhoon“ zeigen die Gefahren staatlicher Hintertüren und unterstreichen: Die Stärkung von IT-Sicherheit und Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation ist eine Frage gesamtgesellschaftlicher Resilienz. Gleichzeitig steht unabhängige und zivilgesellschaftliche Sicherheitsforschung, die Sicherheitslücken zum Wohle der Gesellschaft aufdeckt, immer noch unter Generalverdacht und wird kriminalisiert. Sicherheitslücken in Software müssen von allen staatlichen Stellen im Rahmen eines Schwachstellenmanagements konsequent an die Hersteller zur Behebung gemeldet werden. Sicherheit und Schutz dürfen dabei keine Frage von Privilegien sein, sondern müssen für alle Menschen gelten, insbesondere für marginalisierte Menschen und Gruppen.

    Wir fordern:

    1. Es wird ein Recht auf Verschlüsselung eingeführt. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, die Chatkontrolle auf europäischer Ebene zu verhindern und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie die Vertraulichkeit von Kommunikation insgesamt zu schützen.
    2. IT-Sicherheitsforschung wird unterstützt statt kriminalisiert. Der Hackerparagraph wird abgeschafft. Es wird ein wirksames IT-Schwachstellenmanagement auch für Behörden eingeführt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik wird unabhängig aufgestellt.
    3. Die Bundesregierung setzt sich für wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutz ein, ohne dabei durch eine verpflichtende Altersverifikation die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen zu unterminieren. Die anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets wird geschützt und ermöglicht.
    4. Die Abschaffung der Bezahlkarte für Geflüchtete und die Einstellung von Handyauswertungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene gegen die Sammlung personenbezogener Daten geflüchteter Menschen einzusetzen und ihre Privatsphäre und Autonomie zu respektieren.

    III. Demokratie im digitalen Raum

    Private Überwachung und Machtkonzentration müssen bekämpft werden. Die willkürliche und antidemokratische Machtausübung der Tech-Oligarchen um Präsident Trump erfordert einen Paradigmenwechsel in der deutschen Digitalpolitik und ein erneuertes Bekenntnis zu dezentralen öffentlichen Räumen sowie der konsequenten Rechtsdurchsetzung durch föderale Aufsichtsstrukturen. Gesunde digitale Räume leben auch von einer resilienten Gesellschaft mit starken digitalen Kompetenzen und einem demokratischen Diskurs, in dem digitale Gewalt keinen Platz hat. Dazu fordern wir ein Gewaltschutzgesetz, das seinen Namen verdient, einen Ausbau der digitalen Bildung und die Förderung des digitalen Ehrenamts.

    Wir fordern:

    1. Privater Machtmissbrauch von Big-Tech-Unternehmen wird durch durchsetzungsstarke, unabhängige und grundsätzlich föderale Aufsichtsstrukturen bekämpft, insbesondere in den Bereichen der Plattformregulierung, des Datenschutzrechts und des Kartellrechts.
    2. Die Bundesregierung legt ein umfassendes Förderprogramm für digitale öffentliche Räume auf, die dezentral organisiert, gesellschaftlich eingebettet, interoperabel gestaltet und quelloffen programmiert sind.
    3. Ein digitales Gewaltschutzgesetz wird eingeführt, das Betroffene konsequent in den Fokus stellt. Dazu gehören auch die Reform der Impressumspflicht, die Berücksichtigung gruppenbezogener digitaler Gewalt und die Förderung von Beratungs- und Hilfsangeboten.
    4. Gute digitale Bildung, die Menschen befähigt und frei zugänglich ist, muss zur Priorität werden und allen gesellschaftlichen Gruppen, unabhängig von Alter und Bildungsgrad, zur Verfügung stehen. Wir fordern eine umfassende Strategie zur Förderung von Open Educational Resources und die Förderung des digitalen Ehrenamts.

    Liste der Unterzeichnenden (alphabetisch sortiert):

    1. Agora Digitale Transformation gGmbH
    2. AKTIVOLI-Laktandesnetzwerk Hamburg e.V.
    3. Amnesty International
    4. Anoxinon
    5. Attac Deutschland
    6. Chaos Computer Club
    7. D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt
    8. Das NETTZ
    9. Datenpunks
    10. Datenpunks Bremen
    11. Digitalcourage e.V.
    12. Digitale Freiheit e.V.
    13. Digitale Gesellschaft
    14. Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
    15. FrauenComputerZentrumBerlin e.V.
    16. Humanistische Union e.V.
    17. kleindatenverein
    18. LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
    19. netzbegrünung – Verein für grüne Netzkultur e.V.
    20. Open Knowledge Foundation Deutschland e. V.
    21. PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
    22. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)
    23. SUPERRR Lab
    24. Topio e.V.

    Stand: 05.03.2025, 15 Uhr. Aktuelle Unterzeichner: d-64.org/digitale-brandmauer

  • Insecurity by Design – offener Brief gegen die „GoingDark“ Pläne der EU

    Zusammen mit EDRi und ca. 50 anderen Organisationen der Zivilgesellschaft haben wir einen Offenen Brief gegen die Überwachungsagenda #GoingDark unterschrieben. Ziel der Arbeitsgruppe ist ein maximaler Zugang für Ermittlungsbehörden zu privaten Daten.

    Wir veröffentlichen hier die von der DVD erstellte deutsche Übersetzung des Dokuments.

    An den
    Rat für Justiz und Inneres („JI-Rat“, Justice and Home Affairs Council)
    nachrichtlich an:
    den Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit
    (Standing Committee on Operational Cooperation on Internal Security – COSI)
    den Koordinierungsausschuss für den Bereich der polizeilichen und justiziellen
    Zusammenarbeit in Strafsachen (Coordinating Committee in the area of police and judicial
    cooperation in criminal matters – CATS)
    Generaldirektorin Beate Gminder und stellv. Generaldirektor Olivier Onidi der
    Generaldirektion Migration und Inneres
    den Europäischer Datenschutzausschuss
    das Europäisches Parlament, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)

    11. Dezember 2024
    Offener Brief mit der Forderung, dass die EU-Agenda für digitale Sicherheit die
    Grundrechte fördert und ein sicheres digitales Ökosystem unterstützt


    Sehr geehrte Damen und Herren,
    wir, die unterzeichnenden Berufsverbände, Medienorganisationen, zivilgesellschaftlichen
    Gruppen, Gewerkschaften, Sozialverbände und Technologieunternehmen, schreiben Ihnen
    wegen der Notwendigkeit einer EU-Agenda für digitale Sicherheit, die Gerechtigkeit,
    Rechenschaftspflicht und die Achtung der Grundrechte gewährleistet und der Entwicklung
    eines sicheren digitalen Ökosystems dient.
    Wir sind insofern wegen den Empfehlungen und dem Bericht der Hochrangigen Gruppe
    (HLG) über den „Zugang zu Daten für eine wirksame Strafverfolgung“ besorgt1. Angesichts
    des umfassenden Strebens der HLG, den Strafverfolgungsbehörden den größtmöglichen
    Zugang zu personenbezogenen Daten zu gewähren, sehen wir hohe Risiken einer
    Massenüberwachung, für die Sicherheit und für den Schutz der Privatsphäre, sollten diese
    Empfehlungen als Grundlage für künftige politische Maßnahmen und Rechtsvorschriften der EU dienen.
    Wir fordern Sie daher dringend auf bei der Festlegung der EU-Prioritäten in diesem
    Politikbereich die folgenden Ratschläge zu berücksichtigen.


    Achtung der Grundrechte und Gewährleistung der Sicherheit und Vertraulichkeit des
    digitalen Raums

    Wir warnen davor, dass den Strafverfolgungsbehörden uneingeschränkte Befugnisse
    eingeräumt werden, die zu einer Massenüberwachung führen und die Grundrechte verletzen.

    Insbesondere das von der HLG unterstützte Konzept des „lawful access by design “2, das
    darauf abzielt den Datenzugang der Strafverfolgungsbehörden in die Entwicklung aller
    Technologien einzubeziehen, beunruhigt uns sehr. In der Praxis würde dieses die
    systematische Schwächung aller digitalen Sicherheitssysteme bedeuten, auch, aber nicht nur, in Bezug auf die Verschlüsselung. Dieses würde die Sicherheit und Vertraulichkeit
    elektronischer Daten und Kommunikationen untergraben, die Sicherheit aller Menschen
    gefährden und die Grundrechte der Menschen stark einschränken. Dieses Konzept steht im
    Widerspruch zu den immer wieder vorgetragenen Empfehlungen von
    Menschenrechtsorganisationen, Datenschutz- und Cybersicherheitsexperten sowie zur
    Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)3.

    Deshalb sollten alle Maßnahmen verworfen werden, die den durch die Verschlüsselung
    gewährten Schutz umgehen oder abschwächen, da damit die Sicherheit und der Schutz der
    Privatsphäre von Millionen von Menschen und öffentlichen Einrichtungen gefährdet und
    unweigerlich das gesamte digitale Ökosystem geschädigt würde.

    Zudem erinnern wir daran, dass jede künftige EU-weit harmonisierte Regelung zur
    Vorratsspeicherung von und zum Zugang zu Daten4 die in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für
    Menschenrechte (EGMR) verankerten rechtlichen Anforderungen zum Schutz der
    Grundrechte vor Massenüberwachung, zur Erforderlichkeit und zur Verhältnismäßigkeit
    beachten muss. Insofern ist die vorgeschlagene Ausweitung der Verpflichtung zur
    Vorratsdatenspeicherung auf praktisch alle Dienste der Informationsgesellschaft,
    einschließlich des Internets der Dinge und der internetbasierten Dienste5, besonders
    bedenklich, da sie zur ungezielten und wahllosen Speicherung personenbezogener Daten
    führen würde. Diese umfassende allgemeine Überwachung würde bei den Menschen das
    Gefühl ständigen Überwachtwerdens des Privatlebens hervorrufen, was nicht als mit den oben genannten Anforderungen vereinbar ist.


    Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und Unverletzlichkeit der geschützten
    Informationen

    Das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation gilt zwar nicht absolut,
    doch muss jeder Eingriff in die Grundrechte den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, der
    strikten Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Eine generelle und
    wahllose Vorratsspeicherung personenbezogener Daten, die die Erstellung detaillierter Profiledes Einzelnen ermöglicht, sowie Maßnahmen, die die Sicherheit der gesamten privaten Kommunikation untergraben, widersprechen diesen Grundsätzen.


    Solche allgemeinen und willkürlichen Maßnahmen betreffen auch Personen, deren
    Kommunikation dem Berufsgeheimnis unterliegt, also Ärzten und ihre Patienten, Journalisten und ihre Quellen, Rechtsanwälte und Sozialarbeiter und ihre Klienten. Der für diese Kommunikation gewährte Rechtsschutz ist eine unabdingbare Voraussetzung für die
    wirksame Ausübung anderer Grundrechte, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren
    und auf Verteidigung, der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit mit
    der Medien- und Pressefreiheit, der Gedanken- und Religionsfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie des Rechts auf soziale Unterstützung und Gesundheitsfürsorge.


    Wir befürchten, dass die geplanten weitreichenden Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zum Datenzugriff die Vertraulichkeit geschützter Kommunikation und damit verbundene Grundrechte beeinträchtigen würden. Es besteht die Gefahr, dass diese Maßnahmen zur Verfolgung von Journalisten, Menschenrechtlern, Anwälten, Aktivisten und politischen Dissidenten missbraucht werden. Es ist entscheidend, dass die EU die Unverletzlichkeit von Daten und anderen Beweismitteln garantiert, die dem (anwaltlichen) Berufsgeheimnis unterliegen.


    Unterstützung eines sicheren, vertrauenswürdigen und diversifizierten digitalen
    Ökosystems

    Verantwortungsbewusste Gerätehersteller und Diensteanbieter investieren erhebliche
    Ressourcen in die Verbesserung der Sicherheit ihrer Geräte und der Zuverlässigkeit ihrer
    Dienste. Damit wird nicht nur den Anforderungen der zunehmend datenschutzbewussten
    Nutzer genügt, sondern auch denen der Regulierungsbehörden, die für die Durchsetzung
    hoher Standards in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz zuständig sind. Die EU
    verfügt über den einzigartigen Vorteil eines Datenschutzrahmens, der einen hohen rechtlichen Standard für den Schutz der Grundrechte und Freiheiten der Menschen in einer Welt setzt, in der die Privatsphäre ständig angegriffen wird.


    Die Vision der HLG ist leider geeignet die Fähigkeit der Europäer künftig vertrauenswürdige
    digitale Werkzeuge zu wählen, zu untergraben. Den Betreibern sollen dadurch umfangreiche
    und manchmal widersprüchliche Verpflichtungen auferlegt werden. So sollen sie gezwungen werden mehr Nutzerdaten zu sammeln und zu speichern, als für die Bereitstellung ihrer Dienste erforderlich sind, das Abhören in Echtzeit6 zu ermöglichen und entschlüsselte Daten an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben ohne dabei die Sicherheit ihrer Systeme zu gefährden. Entgegen der Intention der HLG, die digitale Sicherheit zu wahren, besteht real keine technische Möglichkeit, das Versprechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu brechen, ohne die Sicherheit der Kommunikationssysteme zu schwächen. Eine Hintertür – oder jeder andere Umgehungsmechanismus –, der für die Strafverfolgung gedacht ist, kann immer auch von anderen Akteuren ausgenutzt werden, wie zahlreiche Beispiele gezeigt haben7.


    Zuletzt skizziert die hochrangige Gruppe auch einen besorgniserregenden
    Durchsetzungsrahmen, der harte Sanktionen zur Abschreckung und Bestrafung der
    Nichteinhaltung von EU-Verpflichtungen und Strafverfolgungsanordnungen vorsieht
    (Verwaltungssanktionen, Handelsverbot, Haftstrafen)8. Wir sehen dadurch die Gefahr, dass
    zuverlässige Anbieter sicherer Dienste, wenn sie kleine oder gemeinnützige Unternehmen
    sind, vom EU-Markt oder von Geschäftsfeldern verdrängt werden oder dass sie, wenn sie den Sitz in der EU haben, daran gehindert werden sichere Lösungen zu entwickeln. Dies wäre für die Initiativen und Ambitionen der EU im Bereich der Cybersicherheit natürlich äußerst nachteilig.


    Wir sind uns darüber im Klaren, dass die den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung
    stehenden Ermittlungsmaßnahmen dem digitalen Zeitalter angemessen sein und den
    einzigartigen Herausforderungen durch grenzüberschreitende Online-Dienste genügen
    müssen. Effizienz darf aber nicht auf Kosten einer Schwächung der Grundrechte, des
    Rechtsschutzes und der europäischen Wirtschaft erreicht werden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Ziele von allgemeinem Interesse mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreichbar sind als mit einer Massenüberwachung und einer systematischen Schwächung zentraler Sicherheitsgarantien.


    Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Berücksichtigung und stehen Ihnen für Rückfragen
    gerne zur Verfügung.


    Mit freundlichen Grüßen,


    (Die Unterzeichner)
    Access Now – ARTICLE 19, International – Association of European Journalists, Belgium
    (AEJ Belgium) – Bits of Freedom, Netherlands – Bolo Bhi, Pakistan – Centre for Democracy
    and Technology Europe (CDT Europe) – Chaos Computer Club (CCC), Germany – Civil
    Liberties Union for Europe (Liberties) – Committee to Protect Journalists (CPJ) – Community – Media Forum Europe (CMFE) – Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE) – Cryptee, Estonia – D3 – Defesa dos DIreitos Digitais, Portugal – Danes je nov dan, Slovenia – Datenpunks, Germany – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD), Germany – Deutscher Anwaltverein (German Bar Association) – Digital Rights Ireland – Digitale Gesellschaft, Germany – Digitale Gesellschaft, Switzerland – eco – Verband der
    Internetwirtschaft e.V. – Electronic Frontier Foundation (EFF), International – Electronic
    Privacy Information Center (EPIC), United States of America – Element – Epicenter.works –
    for digital rights, Austria – Eurocadres – EuroISPA – The European Association of Internet
    Services Providers – European Broadcasting Union (EBU) – European Digital Rights (EDRi)
    – European Federation of Journalists (EFJ) – European Magazine Media Association
    (EMMA) – European Newspaper Publishers’ Association (ENPA) – European Publishers
    Council (EPC) – Global Forum for Media Development (GFMD) – Global Network Initiative
    (GNI) – Heartland Initiative – IFEX – Initiative für Netzfreiheit, Austria – IT-Pol, Denmark –
    La Quadrature du Net, France – Ligue des droits humains, Belgium – Mailfence, Belgium –
    Malta Information Technology Law Association (MITLA) – News Media Europe (NME) –
    Nextcloud GmbH, Germany – Panoptykon Foundation, Poland – Politiscope, Croatia –
    Privacy International – Proton, Switzerland – SHARE Foundation, Serbia – South East
    Europe Media Organisation (SEEMO) – Statewatch, International – Tech Global Institute –
    Tuta Mail, Germany – Wikimedia Foundation


    Diesen offenen Brief im englischsprachigen Original finden Sie unter:
    https://www.datenschutzverein.de/wpcontent/
    uploads/2024/12/Open_Letter_on_HLG_Access_to_Data_for_Effective_Law_Enforc
    ement_Recommendations.pdf


    Die Themenseite von EDRi zum offenen Brief finden Sie hier:
    https://edri.org/our-work/shedding-light-we-address-the-flawed-going-dark-report

    1 Empfehlungen der High-Level Group on Access to Data for Effective Law Enforcement, https://homeaffairs.ec.europa.eu/document/download/1105a0ef-535c-44a7-a6d4-a8478fce1d29_en.
    2 Empfehlungen 22, 23, 25, 26.
    3 In der Rechtssache PODCHASOV gegen RUSSLAND entschied der EGMR, dass eine allgemeine Verpflichtung zur Schwächung der Verschlüsselung in einer demokratischen Gesellschaft unverhältnismäßig ist, nachdem er festgestellt hatte, dass Entschlüsselungsverpflichtungen „angeblich nicht auf bestimmte
    Personen beschränkt werden können und jeden wahllos betreffen würden, auch Personen, die keine Bedrohung für ein legitimes staatliches Interesse darstellen“.
    4 Empfehlungen 27 bis 32.
    5 Empfehlung 27 ii.
    6 Empfehlung 38.
    7 So waren beispielsweise die in den TLS/SSL-Protokollen eingebauten Schwachstellen ein Jahrzehnt lang auf
    Regierungswebsites zu finden, bevor sie 2015 behoben wurden:
    https://blog.cryptographyengineering.com/2015/03/03/attack-of-week-freak-or-factoring-nsa/. Weitere
    Beispiele sind der Hack der rechtmäßigen Abhöreinrichtungen von Vodafone in Griechenland, die sogenannte
    „Athener Affäre“, die das Abhören von über 100 Politikern ermöglichte, was schwerwiegende Folgen für die
    nationale Sicherheit hatte. Ein weiteres Beispiel aus jüngster Zeit ist der massive Cyberangriff, im
    Breitbandnetze der Vereinigten Staaten, einschließlich AT&T und Verizon, über die Kanäle, die von der USRegierung
    für gerichtlich genehmigte Abhörmaßnahmen in Breitbandnetzen genutzt werden:
    https://www.wsj.com/tech/cybersecurity/u-s-wiretap-systems-targeted-in-china-linked-hack-327fc63b.
    8 Empfehlungen 33 bis 36.

  • Die größte Enttäuschung seit Beginn der Ampel-Regierung. Zivilgesellschaft kritisiert das Sicherheitspaket.

    Die Zivilgesellschaft kritisiert die angepassten Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets, das am Mittwoch, den 16. Oktober 2024 im Innenausschuss des Bundestages beraten und noch diese Woche vom Parlament beschlossen werden soll.

    In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt das Bündnis „Gesichtserkennung Stoppen“:

    Das sogenannte Sicherheitspaket ist die größte Enttäuschung im Hinblick auf Bürgerrechte seit Beginn der Ampel-Regierung. Unter dem Eindruck des Anschlags in Solingen und mehrerer Landtagswahlen ist die Koalition von ihrem Anspruch auf eine vorausschauende, evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheits- und Innenpolitik abgerückt. Trotz der breiten Kritik der geladenen Sachverständigen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen sollen die weitgehenden neuen Befugnisse noch diese Woche beschlossen werden. Durch das Gesetzespaket erhalten Bundespolizei, BKA und BAMF neue Befugnisse mit beispielloser Reichweite. Die neuen Befugnisse zum biometrischen Abgleich bzw. zur Identifizierung anhand von allen im Internet öffentlich zugänglichen Daten und die automatisierte Datenanalyse durch Anbietende wie Palantir, Clearview, PimEyes und Co greifen tief in die Grundprinzipien einer offenen, freiheitlichen und selbstbestimmten Gesellschaft ein. Sie verstoßen gegen EU-Recht und die deutsche Verfassung und brechen die Versprechen des Koalitionsvertrages, gegen biometrische Massenüberwachung vorzugehen. Die vorliegenden Änderungsanträge können auch die Bedenken gegenüber dem Missbrauchspotenzial der neuen Befugnisse, der strukturellen Diskriminierung und der grundrechtsschonenden Durchsetzung nicht aus dem Weg räumen. Insbesondere mit Blick auf das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte sind das Sicherheitspaket und die darin enthaltenen Maßnahmen zutiefst besorgniserregend.

    Zudem nehmen wie folgt Stellung:

    Markus Korporal für die Datenpunks: „Wir appellieren an die Ampel, mit einem positiven und solidarischen Gesellschaftsentwurf gegen Hass und rechte Narrative anzutreten, anstatt diese auch noch in Gesetzesform zu gießen. Lediglich als Echokammer für Faschisten zu dienen, darf nicht der Anspruch einer als Fortschrittskoalition angetretenen Regierung sein.“

    Svea Windwehr, Co-Vorsitzende von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt: „Das Sicherheitspaket macht unsere Gesellschaft unsicherer und schwächt unsere Demokratie. Der angebliche Gewinn an Sicherheit steht in keinem Verhältnis zu dem massiven Eingriff in Grundrechte wie dem Recht auf Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung. Auch die Änderungsanträge der Ampel-Fraktionen können die fundamentalen Bedenken am sogenannten Sicherheitspaket nicht ausräumen. Es bleibt zudem unklar, wie die Maßnahmen mit europäischen Vorgaben vereinbar sein sollen. Damit hält die Ampel an einem Kurs fest, der populistische Narrative stärkt, Rechte von besonders Schutzbedürftigen untergräbt und die Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages bricht.“

    Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch: „Die Bemühungen einzelner Ampel-Parlamentarier*innen, das „Sicherheitspaket“ so zu ändern, dass es nicht gegen Grundrechte verstößt, beruhigen uns nicht im Geringsten. Es gibt keine Möglichkeit, Bilder von Verdächtigen mit denen aus dem Internet zu vergleichen, ohne eine Super-Datenbank mit Bildern von allen anzulegen. Das gefährdet die Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Autonomie in einer demokratischen Gesellschaft. Die Begründung, dass dadurch Morde wie in Solingen verhindert würden, ist höchst zweifelhaft. Stattdessen wird die Debatte befeuert, Migration gefährde die Sicherheit . Das ist falsch und Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Wir lehnen das Gesetz weiterhin ab und werden nach Wegen suchen, es zu verhindern, im Zweifel mit einer Verfassungsbeschwerde. Wir setzen auf zielgerichtete Polizeiarbeit, mit der Verbrechen verfassungs- und bürgerrechtskonform verhindert und aufklärt werden.“

    Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland: „Die Änderungen in einzelnen Bereichen haben das grundsätzliche Problem nicht behoben: Künftig müssten alle Menschen, die im Internet Fotos, Videos oder Tonaufnahmen hochladen, damit rechnen, dass diese mit biometrischer Überwachungstechnologie durchsucht und analysiert werden dürfen. Das hat einschüchternde Auswirkungen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Es kann von menschenrechtsfeindlichen politischen Kräften missbraucht werden. Und laut technischen Expert*innen müssten dafür riesige Datenbanken aufgebaut werden, die von der KI-Verordnung verboten sind. Auch Racial Profiling wird durch die Maßnahmen weiterhin gefördert. Die grundsätzlichen Kritikpunkte bleiben also bestehen und sind so schwerwiegend, dass das Maßnahmenpaket vollständig in den Schredder gehört.“

    Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die vorliegenden Änderungsanträge sind lediglich Augenwischerei im Hinblick auf die geplante biometrische Massenüberwachung. Die Bundesregierung ignoriert weiterhin die Fehleranfälligkeit und die Risiken von KI. Sie schafft die Grundlage für eine dystopische Zukunft, in der niemand mehr anonym im öffentlichen Raum oder im Internet unterwegs sein kann. Als Reaktion auf ein solches Gesetz müssten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Überwachungsmaßnahmen sabotiert und abgeschaltet werden können.“

    Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft: „Die Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets wäre die endgültige Abkehr der Ampel-Koalition vom Anspruch einer den Grundrechten verpflichteten Sicherheitspolitik. Die kleinen Änderungen, die nun eingefügt werden sollen, sind rein kosmetisch und ändern nichts daran, dass die Maßnahmen zu einem massiven Ausbau biometrischer Massenüberwachung, willkürlichen Polizeikontrollen und einer weitgehend entgrenzten Datenverarbeitung führen werden. Das ist die Agenda autoritärer Populisten und nicht die einer  „Fortschrittskoalition“.“

    Teresa Widlok von LOAD e.V.: „Das sogenannte Sicherheitspaket führt die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für biometrische Überwachung und eine polizeiliche Superdatenbank ein. Zwar haben die Verhandler an vielen Stellen Schutzmaßnahmen eingebaut, die auch teilweise sehr erheblich sind – doch auch das ist letztlich nur Flickschusterei. Das eigentliche Problem ist, dass solche digitalen Befugnisse überhaupt zur Diskussion stehen. Im Windschatten der Empörung über Solingen haben die Sicherheitsbehörden ihre Chance gewittert und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um die Idee eines anonymen Internets weiter zu untergraben. Die Ergebnisse der aktuell noch laufenden Überwachungsgesamtrechnung wurden ebenfalls nicht abgewartet. Die Büchse der Pandora für noch weitergehende Überwachungsbefugnisse ist damit geöffnet.“

    Caroline Krohn von der AG Nachhaltige Digitalisierung stellt fest: Die Parlamentarier*innen sind von dem populistischen Gesetzesvorhaben überrumpelt worden. Hinter vorgehaltener Hand hält kaum ein*e Abgeordnete*r der regierungsnahen Fraktionen die Maßnahmen für effektiv, richtig und/oder moralisch vertretbar. Partei-, fraktions-, koalitionsinterne Zwänge sowie machtpolitisches Kalkül zwingen die Abgeordneten, sich von ihrem eigenen Gewissen und der Kontrollfunktion des Parlaments abzuwenden und sich der Gesetzesvorgabe zu beugen – zu Lasten der Freiheit und der Selbstbestimmung aller und zu Lasten der akuten Sicherheit und Unversehrtheit vulnerabler Gruppen, die bei all dem Feilschen um bessere Formulierungen in den Verhandlungsrunden schlicht keine Rolle gespielt zu haben scheinen. Dieses Gesetz gehört in Gänze verworfen. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder des Bundestages den Mut dazu finden. 

    Lotte Burmeister von Digitale Freiheit: „Eine Hose runter, alle Hosen runter – Das Vorhaben verkennt die technische Unmöglichkeit, nur Gesichter von Tatverdächtigen aus dem Internet zu ziehen. Stattdessen wird eine staatliche „Gesichterdatenbank“ bestehend aus Fotos von Social Media Rückschlüsse auf unser aller sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Arbeitgeber bieten. Wenn die Ampel-Parteien noch glaubwürdig sein möchten, sollten sie auf eine solche Rechtsgrundlage verzichten und stattdessen wie im Koalitionsvertrag angelegt ein umfassendes nationales Verbot biometrischer Massenüberwachung im öffentlichen Raum beschließen.“

    Bildmaterial

    Bilder des Bündnisses Gesichtserkennen Stoppen bei der Demo gegen das Sicherheitspaket finden Sie hier:
     https://cloud.d-64.org/s/QxXZpJEy8KJBJ46 

    Alle Bildunterschriften: Das Bündnis Gesichtserkennen Stoppen stellt sich gegen das Sicherheitspaket

    Alle Foto-Credits: Gesichtserkennen Stoppen

    Hintergrundinformationen

    Stellungnahme von AlgorithmWatch für das Bündnis: 
     https://algorithmwatch.org/de/stellungnahme-sicherheitspaket/ 

    Bündnis-Seite:
    https://gesichtserkennung-stoppen.de/ 

  • Haltung zeigen: Menschenrechte verteidigen, biometrische Gesichtserkennung stoppen!

    Haltung zeigen: Menschenrechte verteidigen, biometrische Gesichtserkennung stoppen!

    In einem offenen Brief wenden wir uns mit vielen anderen Organisationen aus der Zivilgesellschaft gegen das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung, das unserer Meinung nach massiv gegen freiheitliche Grundrechte verstößt, und einen Überwachungsapparat ungeahnten Ausmaßes in Deutschland zur Folge hätte.


    Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

    mit den Gesetzentwürfen zum sogenannten Sicherheitspaket schlagen die Fraktionen der Ampel-Koalition die Verschärfungen des Asylrechts und die Einführung massenhafter biometrischer Überwachung vor. Trotz schwerwiegender offener Fragen bezüglich der Effektivität der vorgeschlagenen Maßnahmen und ihrer Konformität mit EU-Recht und dem Grundgesetz soll dieses Paket in Rekordzeit verabschiedet und umgesetzt werden.

    Das Sicherheitspaket sieht Maßnahmen vor, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vermuteten Gewinn an Sicherheit stehen. In einigen Bereichen besitzen die Regelungen reinen Symbolcharakter und werden die Sicherheitsbehörden im Vollzug mit neuen Aufgaben belasten, die sie davon abhalten, ihren eigentlichen Tätigkeiten nachzugehen.

    Gleichzeitig stützen die vorgeschlagenen Verschärfungen des Asylrechts autoritäre Narrative, die die Rechte „Anderer“, in diesem Fall asylsuchender Menschen, infrage stellen, und tragen damit zur Spaltung der Gesellschaft bei. Asylsuchenden, für deren Asylantrag ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, sollen zukünftig nach zwei Wochen alle Sozialleistungen gestrichen werden. Das untergräbt die Menschenwürde und ist inakzeptabel und völkerrechtswidrig. Die geplante Ausweitung anlassloser Kontrollen durch die Polizei ist ein Einfallstor für Racial Profiling.

    Wir fordern Sie dazu auf, sich dem kopflosen Aktionismus, der mit dem Sicherheitspaket einhergeht, entgegenzustellen, Grund- und Menschenrechte zu schützen und für die Rechtsstaatlichkeit einzustehen.

    Eingeführt werden soll auch die Befugnis zum biometrischen Abgleich des gesamten Internets mit Bildern und Stimmen von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen. Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen diese Befugnis nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus, sondern auch als neues Standardinstrument erhalten, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sogar ohne Anfangsverdacht einer Straftat, nur um die Identität von Personen festzustellen.

    Eine solche Maßnahme ist technisch jedoch nur möglich, wenn riesige, unterschiedslose Gesichtsdatenbanken angelegt werden. Solche Gesichtsdatenbanken sind nach Artikel 5 der KI-Verordnung eine verbotene Praxis, da sie Massenüberwachung ermöglichen und zu schweren Verstößen gegen die Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, führen können. Es gibt zwar Ausnahmen im Rahmen der nationalen Sicherheit, aber ein Verbot des Einsatzes von biometrischen Fernidentifizierungssystemen ist laut KI-Verordnung ausdrücklich möglich und kann von den Mitgliedsstaaten rechtlich eingeführt werden.

    Der Schutz von Menschenrechten darf nicht unter Vorbehalt stehen. Insbesondere im Kontext erstarkender rechtsextremer Parteien müssen die demokratischen Kräfte gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren.

    Wir fordern Sie daher auf, sich gegen jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland einzusetzen.

    Im Koalitionsvertrag verpflichten sich die Regierungsparteien gleich an zwei Stellen, biometrische Überwachung in Deutschland zu verhindern: Die „[b]iometrische Erkennung im öffentlichen Raum“ wie auch der „Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken“ werden explizit abgelehnt.

    Es ist jetzt an der Zeit, ein Verbot biometrischer Überwachung konsequent zu verfolgen und Einschnitte in Grundrechte wie die ausufernden Ideen zur automatisierten Datenanalyse, die anlasslose IP-Adressdatenspeicherung, Videoüberwachung und Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, Onlinedurchsuchung für den Verfassungsschutz und die allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung ein für alle Mal abzulehnen.

    Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Alphabetisch sortiert:

    • AlgorithmWatch
    • Amnesty International
    • Chaos Computer Club
    • D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
    • Die Datenpunks
    • Digitale Freiheit e.V.
    • Digitale Gesellschaft e.V.
    • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF e.V.)
    • Gesichtserkennung Stoppen
    • Humanistische Union e.V.
    • Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.
    • Komitee für Grundrechte und Demokratie
    • #LeaveNoOneBehind
    • Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
    • netzbegrünung – Verein für grüne Netzkultur e.V.
    • Sea-Watch e.V.
    • Seebrücke
    • SUPERRR Lab
    • Topio e.V.
    • Wikimedia Deutschland e. V.
  • QualitätsKlicktivismus: Was ist bei Online-Petitionen zu beachten?

    QualitätsKlicktivismus: Was ist bei Online-Petitionen zu beachten?

    Politische Teilhabe ist wichtiger denn je, und die Möglichkeiten für politischen Aktivismus im Netz beinahe endlos. Gerade Online-Petitionen bieten die Möglichkeit mit wenig Aufwand wichtige Hebel zu aktivieren: Gegen Tierversuche, für mehr Klimaschutz, gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, für faire Gehälter, gegen den Abriss von Gebäuden, für den Ausbau von Kitaplätzen und vor allem: gegen Gesetze, die im Begriff sind, die Demokratie zu gefährden. Sich an Petitionen zu beteiligen fördert das Gemeinschaftsgefühl (Partizipation und Teilhabe) und das Gefühl, etwas mit direkt sichtbaren Auswirkungen, zu bewegen (Empowerment). Sicherlich wird dabei auch Adrenalin ausgeschüttet, was zu einem Glücksgefühl führt und Kraft oder Hoffnung gibt.

    Viel mehr Menschen sollten sich politisch beteiligen!

    Ob es die Teilnahme an Demonstrationen ist, das Unterstützen von Petitionen oder ganz andere Formen. Online-Aktivismus, „Klick-Aktivismus“, „Klicktivismus“ oder wie auch immer man diese Form der Beteiligung nennen mag, ist ein einfacher Schritt, um viel zu bewirken.

    Fallstricke bei Online-Petitionen

    Allerdings klicken viele Nutzer*innen im Netz, durch Emotionen geleitet, viel zu schnell, ohne sich ausgiebig mit den Themen oder dem Gesamtkontext befasst zu haben. So besteht die Möglichkeit, dass einzelne Vorhaben untersützungswürdig erscheinen, dahinter aber Personen oder Parteien stecken, die man für gewöhnlich nicht unterstützen würde.

    Da sich Petitionen in der Regel schnell verbreiten und eine große Aufmerksamkeit für das entsprechende Thema schaffen, müssen sie zeitgleich auch als große Marketingmaßnahme betrachtet werden. Das ist okay, denn die Massen zu bewegen ist ja das Ziel, und Menschen für ein Thema zu begeistern, hat viele Schnittstellen mit Marketing und Werbemaßnahmen. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn (politische) Teilhabe als Marketinginstrument missbraucht wird, ohne realistische Aussichten auf einen Erfolg der beworbenen Petition.

    Dazu muss es manchmal auch einfach schnell gehen, zum Beispiel wenn die Unterschrift dazu führen soll, ein Eilverfahren zu bewirken oder eine verheerende Entscheidung zu vereiteln. Es mag nicht immer möglich sein, alle Auswirkungen und Hintergründe einer Petition zu überblicken, aber es gibt qualitativ große Unterschiede zwischen einzelnen Petitionen, die zumindest darauf hinweisen, ob sich mit der gesetzten Unterschrift das gewünschte Ziel (annähernd) erreichen lässt.

    Worauf kann ich vor dem Unterzeichnen von Online-Petitionen also achten?

    Red-Flag-Checkliste für Online-Petitionen

    Werden die Verantwortlichen erreicht?

    Wird das Anliegen an die richtigen Adressat*innen herangetragen? Oder werden hier die Befugnisse falsch eingeschätzt, z.B. Bürgermeister*innen dazu aufgefordert, irgendetwas zu lassen, das sie eigentlich gar nicht ändern können, weil es sich um Verordnungen auf EU-Ebene handelt? Es sollte immer eine Kurzrecherche zu den Hintergründen einer Petition durchgeführt werden.

    Red Flag: Diffuse Benennung von Verantwortlichen („Die Regierung!“ „Die da oben!“)

    Ist das Erreichen des Ziels realistisch?

    Hat die Petition überhaupt ein umsetzbares Ziel oder kreidet sie nur Misstände an, ohne Lösungen im Blick zu haben? Auch wenn man sich nicht tiefgehend mit dem Thema und all seinen Nebensträngen auskennt, sollten die Forderungen vor der Unterzeichnung mit Sinn und verstand geprüft werden. Auch die Darstellungen von Meilensteinen (meist die Angabe bereits eingegangener Unterschriften) sind mit Vorsicht zu genießen: Zum einen können sie die Wirksamkeit der Petition beweisen und Erfolge sichtbar machen, zum anderen kann an dieser Stelle auch durch falsche Angaben und irreführende Statistiken getrickst werden.

    Red Flag: Ventil zum Ablassen von Missmut als einziger Zweck der Sache (Stichwort Empörungsbewirtschaftung).

    Geht es hier nur um Aufmerksamkeit?

    Wer steckt hinter dem Aufruf? Sind die Petitent*innen die, die Arbeit gemacht haben? Stammen die konzeptionelle Arbeit sowie Texte und Informationen zu der Thematik aus deren Feder oder ist zu erkennen, dass sich eine Person/Organisation mit fremden Federn zu schmücken versucht? Dazu sollte nicht nur nachgeschaut werden, wer für die Petition verantwortlich ist, sondern auch welche weiterführenden Informationen dort verlinkt sind.

    Red Flag: Reißerischer Aufruf und eine kurze Beschreibung des Themas ohne weiterführende Informationen.

    Geht es hier nur um meine Daten?

    Auf welcher Plattform ist die Petition angelegt und hat sie nicht eigentlich nur das Ziel, meine Adressdaten mit meinen politischen Interessen abzuspeichern? Welche Daten werden abgefragt und wann werden diese wieder gelöscht? Werden unnötige Daten erfasst, die eigentlich mit der Petition nichts zu tun haben? Gibt es vielleicht nicht sichtbare Datenabflüsse durch Tracker, die in die Seite eingebaut sind, sodass Informationen über meine politische Meinung an Dritte weitergegeben werden? Um das zu überprüfen, bieten sich Tools an, die Auskunft über die Serverstandorte und eingesetzte Cookies und Tracker liefern, z.B. Webbkoll.

    Red Flag: Fehlende Angaben zum Schutz der Daten und Petitionsanbieter mit Serverstandorten außerhalb des DSGVO-Geltungsbereichs, inbesondere in den USA.

    Wie ist das Verhältnis von Marketing und politischer Arbeit?

    Werden mir Heizdecken oder Tassen angedreht? Werde ich beim Unterzeichnen der Petition genudged einen Newsletter zu abonnieren oder für einen Zweck zu spenden, der nicht unmittelbar mit der Petition zusammenhängt? Ein wenig Eigenwerbung von der Organisation, die den Aufruf gestartet hat, sich die ganze Mühe gemacht hat und weitere Unterstützung erbittet, ist nicht das Problem (insbesondere bei gemeinnützigen Organisationen). Aber ernsthafte politische Arbeit braucht keine zusätzlichen Bonbons. Das gemeinsame Ziel zu erreichen, sollte nicht nur klar im Vordergrund stehen, sondern auch Anreiz genug sein.

    Red Flag: Das Anlocken mit Geschenken und Vorteilen sowie gekoppelte Bedingungen (ungefragte weitere Infos).

    Was sind die nächsten Schritte?

    Wann wird die Petition wie und wem übergeben? Kann ich darauf vertrauen, dass meine Stimme gehört oder ernst genommen, und an die Verantwortlichen herangetragen wird? Gibt es später eine Möglichkeit, wo ich nachsehen kann, was aus der Petition geworden ist? Wenn die Petition nach kurzer Zeit und ohne weitere Begleitung durch die Verantwortlichen in Schall und Rauch verblasst, ist das kein gutes Zeichen.

    Red Flag: Keine Angaben darüber, wie es nach dem Setzen meiner Unterschrift weitergeht.

    Übrigens: Auch Kinder und Jugendliche sollten bereits an die Chancen und Gefahren von Online-Petitionen herangeführt werden. Ein Mindestalter, um eine Petition unterschreiben zu dürfen, gibt es nämlich nicht. Art. 17 des Grundgesetzes besagt: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden“.

    Dieser Beitrag ist in Kooperation entstanden (CC-BY-SA) von:

    Friedemann Ebelt

    Markus Korporal

    Christian Pietsch

    Jessica Wawrzyniak

    und weiteren Ideengeber*innen in diesem Thread auf Mastodon.

  • Offener Brief zur Unterstützung des NGI-Förderprogramms

    Offener Brief zur Unterstützung des NGI-Förderprogramms

    Next Generation Internet (NGI) ist eine Förderungsinitiative der EU-Kommission. Sie hat bereits vielen Projekten ermöglicht, nachhaltig neue Features zu implementieren und moderne kryptografischer Verfahren zu verbreiten. Sie finanzierte Sicherheitsforschung an proprietärer Kryptografie und senkte allgemein die Zugangshürden zur Open-Source-Entwicklung für finanziell weniger Privilegierte.

    Hier eine Auswahl an Projekten, die Wesen aus dem Datenfreude-Umfeld selber benutzt oder zu denen sie beigetragen haben oder die sie generell als wertvoll erachten und die in der Vergangenheit durch das Next-Generation-Internet-Programm gefördert wurden

    Unter Discover NGI Innovations und NLNet All projects sind weitere Projekte, die mit Geld aus dem Next-Generation-Internet-Programm gefördert wurden.

    Hinweis: NLNet organsiert auch Projektförderung mit Geldern aus anderen Fördertöpfen. NGI-geförderte Projekte lassen sich auf der Projektseite filtern.

    Angesichts der riesigen Zahl an Open-Source-Projekten, die von diesem Programm profitiert haben und von denen viele für uns unmittelbar relevant sind und angesichts seiner deutlichen Wirksamkeit für eine Zukunft der nachhaltigeren Open-Source-Entwicklung, unterstützen wir den folgenden offenen Brief zum Erhalt des NGI-Programms. Der Brief wurde ursprünglich von petites singularités veröffentlicht, eine englische Übersetzung von OW2. Die deutsche Übersetzung stammt von uns und kann gern weiterverwendet werden.

    Wesen, die diesen Brief mitzeichnen möchten, veröffentlichen bitte den Brief auf ihrer Website und füllen die Tabelle am Fuße des originalen Pads aus.

    Offener Brief an die EU-Kommission

    Seit 2020 fördern Next-Generation-Internet-Programme (NGI) als Teil des Horizon-Programms der EU-Kommission freie Software durch einen Cascade-Funding-Ansatz (vgl. etwa die Förderaufrufe von NLNet). Wir bemerken, dass dieses Jahr im Planungsentwurf von Horizon Europe, der die Förderprogramme für 2025 aufführt, Next-Generation-Internet nicht mehr als Teil von Cluster 4 erwähnt wird.

    NGI-Programme haben ihre Stärke und Wichtigkeit in der Unterstützung der europäischen Software-Infrastruktur, als allgemeines Förderinstrument zur Förderung digitaler Gemeingüter und zur Sicherung ihrer langfristigen Nachhaltigkeit bewiesen. Diese Veränderung ist uns unverständlich, zumal sich NGI als effizient und ökonomisch erwiesen hat in der Unterstützung freier Software als Ganzes, von den kleinsten bis zu den etabliertesten Initiativen. Die Diversität dieses Ökosystems stützt die Stärke europäischer technischer Innovation und der Erhalt der NGI-Initiative zur Bereitstellung struktureller Unterstützung für Software-Projekte am Herzen der weltweiten Innovation ist der Schlüssel zur Durchsetzung der Souveränität europäischer Infrastruktur. Entgegen allgemeiner Wahrnehmung entspringen technische Innovationen häufig in Europa statt in nordamerikanischen Programmier-Communities. Und sie werden meistens von kleineren Organisationen initiiert.

    Der letzte Cluster 4 stellte 27 Mio. Euro bereit für:

    • „Ein auf Menschen ausgerichtetes Internet, das den gemeinsamen Werten und Grundsätzen in Europa entspricht.“
    • „Ein blühendes Internet, das auf gemeinsamen, im Rahmen der NGI geschaffenen Bausteinen basiert und eine bessere Kontrolle über unser digitales Leben ermöglicht“
    • „Ein strukturiertes Ökosystem talentierter Mitwirkender, das die Schaffung neuer und Weiterentwicklung bestehender Internet-Gemeingüter vorantreibt“

    In Rahmen dieser Herausforderungen erhielten mehr als 500 Projekte in den ersten fünf Jahren NGI-Förderungen, unterstützt von 18 Organisationen, die diese europäischen Förderungen in Konsortien verwalteten.

    NGI trägt zu einem umfangreichen Ökosystem bei, da der größte Teil des Budgets für die Finanzierung Dritter im Rahmen offener Förderungsaufrufe verwendet wird, um Gemeingüter zu strukturieren, die den gesamten Bereich des Internets abdecken – von Hardware bis zu Anwendungen, Betriebssystemen, digitalen Identitäten oder der Kontrolle von Datenverkehr. Diese Förderungen Dritter werden im laufenden Programm nicht erneuert, so dass vielen Projekten die Mittel für Forschung und Innovation in Europa fehlen.

    Darüber hinaus ermöglicht NGI den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen allen Ländern der Eurozone und den „Erweiterungsländern“1, die derzeit ein Erfolg und ein ständiger Fortschritt sind, ähnlich dem Erasmus-Programm zuvor. NGI eröffnet und unterstützt langfristigere Beziehungen, als dies bei einer reinen Projektfinanzierung der Fall ist. Es ermutigt zur Implementierung von Projekten, die als Pilotprojekte gefördert werden, fördert Zusammenarbeit und die Identifizierung und Wiederverwendung gemeinsamer Elemente über Projektgrenzen hinaus, die Interoperabilität in Identifizierungssystemen und darüber hinaus sowie die Einrichtung von Entwicklungsmodellen, die verschiedene Größenordnungen und Arten europäischer Finanzierungsprogramme kombinieren.

    Während die USA, China oder Russland enorme öffentliche und private Mittel in die Entwicklung von Software und Infrastrukturen zur massenhaften Erfassung privater Daten stecken, kann sich die EU dies nicht leisten. Freie und quelloffene Software, wie sie von NGI seit 2020 unterstützt wird, ist von ihrer Konzeption her das Gegenteil potenzieller Einfallstore für äußere Eingriffe. Sie ermöglicht es uns, unsere Daten lokal zu halten und fördert eine gemeinschaftsweite Wirtschaft und ein gemeinschaftsweites Know-how bei gleichzeitiger internationaler Zusammenarbeit.

    Dies ist im gegenwärtigen geopolitischen Kontext umso wichtiger: die Herausforderungen technologischer Souveränität sind von zentraler Bedeutung und freie Software erlaubt es, sie zu bewältigen und gleichzeitig für Frieden und Souveränität in der digitalen Welt als Ganzes einzutreten.

    Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie dringend auf, sich für den Erhalt des NGI-Programms im Rahmen des Förderprogramms 2025 einzusetzen.

    1. Horizon Europe definiert als Erweiterungsländer: Bulgarien, Estland, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, die Slovakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Assoziierte Erweiterungsländer (unter der Bedingung eines Assoziationsabkommens) sind: Albanien, Armenien, Bosnien, die Färöer-Inseln, Georgien, Kosovo, Moldawien, Montenegro, Marokko, Nord-Mazedonien, Serbien, Tunesien, die Türkei und die Ukraine. Übersee-Erweiterungsländer sind: die Azoren, Guadeloupe, franz. Guyana, Martinique, die Kanaren, Mayotte, Reunion, Saint-Martin und Madeira.