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  • Alle werden überwacht: Biometrische Überwachung im Internet stoppen!

    Alle werden überwacht: Biometrische Überwachung im Internet stoppen!

    Zivilgesellschaftliche Organisationen wenden sich gegen die aktuellen Pläne des Bundesinnenministeriums, die KI-gestützte Überwachung der Bevölkerung deutlich auszubauen. Ähnliche Vorhaben waren bereits von der Ampel-Regierung geplant, wurden von Sachverständigen jedoch scharf kritisiert, da bereits damals erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der geplanten Befugnisse mit höherrangigem Verfassungs- und Europarecht bestanden.

    Der offene Brief kritisiert insbesondere die erneut geplante umfassende biometrische Überwachung im Internet und die KI-gestützte Analyse polizeilicher Datenbanken durch private Unternehmen wie Palantir scharf.


    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,
     sehr geehrter Herr Vizekanzler Klingbeil,
     sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern Dobrindt,
     sehr geehrte Frau Bundesministerin der Justiz Hubig,

    der bekannt gewordene Referentenentwurf zur „Stärkung digitaler Ermittlungsbefugnisse in der Polizeiarbeit“ zeigt, dass die Bundesregierung massenhafte biometrische Überwachung sowie KI-gestützte „Superdatenbanken“ einführen möchte.

    Konkret sieht der Entwurf zum einen vor, das gesamte öffentliche Internet, insbesondere also auch Social Media-Plattformen und öffentliche Chat-Gruppen, mit den biometrischen Daten gesuchter Personen abzugleichen. Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen diese Befugnis nicht nur zur Bekämpfung von Terrorismus erhalten, sondern als Standardmaßnahme für nahezu alle Tätigkeiten, die in ihren Aufgabenbereich fallen, insbesondere auch zur Identifikation und Aufenthaltsermittlung von Personen, die keiner Straftat verdächtig sind. Gleiches gilt für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das dieses Instrument ohne jeden Bezug zu einer Straftat oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Feststellung der Identität von Personen nutzen können soll.

    Ein solcher Abgleich von biometrischen Daten ist technisch jedoch nur möglich, wenn riesige Gesichtsdatenbanken aller Menschen, die im Internet abgebildet sind, angelegt werden. Solche Gesichtsdatenbanken sind nach Artikel 5 der KI-Verordnung eine verbotene Praxis, da sie Massenüberwachung und umfassende Profilbildung ermöglichen und zu schweren Verstößen gegen Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, führen können. Sie können außerdem zu einem Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung führen. So könnten es Menschen etwa vermeiden, Fotos und Videos im Netz zu teilen oder Tätigkeiten nachzugehen, von denen Aufnahmen im Netz veröffentlicht werden könnten.

    Wir fordern Sie daher auf, sich gegen jede Form der biometrischen Auswertung des Internets in Deutschland einzusetzen.

    Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, es zukünftig Bundespolizei und Bundeskriminalamt zu ermöglichen, automatisiert persönliche Daten aus bisher getrennten Datenbanken in eine „Superdatenbank“ zusammenzuführen und zur Analyse weiterzuverarbeiten. Diese KI-gestützte Auswertung riesiger Datenmengen birgt erhebliche Risiken für Grund- und Menschenrechte. Sie ermöglicht die umfassende Profilbildung von Individuen und beschränkt sich nicht auf Tatverdächtige, sondern umfasst auch Opfer, Zeugen und andere Personen, die zufälligerweise in polizeilichen Datenbanken erfasst sind. Die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse für die Polizeibehörden ist nicht gesichert, wenn private Unternehmen den zugrundeliegenden Code nicht offenlegen und bereits an sich unzureichend nachvollziehbare KI-Elemente integriert sind. Der Einsatz von KI birgt zudem ein hohes Risiko für die Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen der Bevölkerung. Bisherige Gesetzesgrundlagen für solche automatisierten Auswertungen in Hessen und Hamburg sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Er bringt also erhebliche rechtliche Unsicherheiten mit sich.

    Ganz besonders bedenklich ist der laut aktueller Berichterstattung geplante Einsatz von Palantir zur Umsetzung der automatisierten Datenanalysen. Palantir ist eng verbunden mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel, der bekennender Anhänger der Trump-Regierung und explizit der Auffassung ist, dass Demokratie nicht mit Freiheit vereinbar sei. Beim Einsatz von Palantir erhält das US-Unternehmen beziehungsweise seine Tochtergesellschaften Zugriff auf alle Daten der Polizeibehörden und kann sie potenziell in die USA übermitteln. Der Einsatz der Software gefährdet daher auch in ganz erheblichem Maße die digitale Souveränität Deutschlands.

    Wir fordern Sie auf, sich für den Schutz aller Menschen und das Recht auf ein Leben frei von Massenüberwachung und Kontrolle einzusetzen. Palantir darf nicht in Deutschland eingesetzt werden.

    Insgesamt sieht der Referentenentwurf Maßnahmen vor, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem vermuteten Gewinn an Sicherheit stehen. Als Zivilgesellschaft haben wir die Erwartung, dass die Bundesregierung Gesetze vorlegt, die nicht ständig an der Grenze der Verfassungswidrigkeit und des Europarechts – und sogar darüber hinaus – segeln. Solche Gesetze führen nicht nur zu Grundrechtsverletzungen und Überwachung von Unschuldigen, sondern auch zu jahrelanger Rechtsunsicherheit, in der sich die Strafverfolgungsbehörden nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Instrumente verlassen können. In der Vergangenheit wurde viel Geld und Zeit – beispielsweise bei der Vorratsdatenspeicherung – verloren, die man in die grundrechtskonforme Weiterentwicklung der Strafverfolgungsbehörden hätte investieren können.

    Nicht zuletzt im Kontext erstarkender rechtsextremer Parteien muss der Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur, wie sie das Gesetzespaket durch biometrische Abgleiche und KI-Datenanalyse vorsieht, verhindert werden. Demokratische Kräfte müssen vielmehr gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren.

    Wir fordern Sie deshalb dazu auf, den aktuellen Entwurf zurückzuziehen und sich stattdessen für grundrechtskonforme Polizeiarbeit und für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen.

    Mit freundlichen Grüßen

    AG KRITIS

    AlgorithmWatch

    Amnesty International Deutschland

    Anoxinon e.V.

    Chaos Computer Club

    D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt

    Datenpunks e.V.

    Deutsche Aidshilfe

    Digitale Freiheit

    Digitale Gesellschaft e.V.

    Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)

    Humanistische Union e.V.

    Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit e.V.

    kleindatenverein

    LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik

    netzforma* e.V. – Verein für feministische Netzpolitik

    Pena.ger, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete

    Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)

    SUPERRR

    Topio e.V.

  • Protestaktion gegen die Chatkontrolle

    Protestaktion gegen die Chatkontrolle

    Kurzfassung: Montag (17. Juni), 12:42 Uhr wollen wir uns in Bielfeld am Niederwall 25 vor dem alten Rathaus in der Mittagspause zu einer Protestaktion treffen und ein Zeichen gegen die Chatkontrolle setzen.

    Eine Versammlung ist bereits angemeldet. Sobald der Auflagenbescheid da ist, geben wir ein Update über den Fediverse-Account der Datenfreude @datenfreude@chaos.social. Mach mit oder organisiere eine eigene Aktion in deiner Stadt! Wenn du noch nicht weißt, was es mit der Chatkontrolle auf sich hat, empfehlen wir die Seite von ChatkontrolleStoppen! und die Berichte von netzpolitik.org zu dem Thema.

    Ein paar von uns haben einen lokalen Hackspace in Bielefeld besucht und dort auch mit Anwesenden über eine kleine Protestaktion zur Chatkontrolle nachgedacht. Gerade ist die öffentliche Aufmerksamkeit auf andere Themen gerichtet, dabei droht die Chatkontrolle plötzlich doch durch den Rat der EU durchgewunken zu werden. Im Schatten der Männerfußball-EM und kurz nach den Europawahlen droht schon am Mittwoch, dem 19. Juni, eine Einigung der Mitgliedsstaaten, nachdem für lange Zeit die Situation festgefahren schien. Aber in der letzten öffentlichen Aussprache im Rat signalisierte Frankreich – bisher Teil einer Sperrminorität, welche eine Mehrheit für die Chatkontrolle verhinderte – die Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen. Darum wollen wir mit einer kleinen Aktion auf das Thema aufmerksam machen und freuen uns, wenn ihr entweder in Bielefeld dazu kommt oder in eurer eigenen Stadt auch etwas unternehmt. Hier teilen wir mit euch außerdem ein paar unserer Ideen und Tipps. Wusstet ihr z.B., dass es bei netzpolitik.org eine gute Anleitung zum Organisieren kleiner Protestaktionen gibt?

    Was braucht eine Aktion? Erst mal eine gemeinsame Idee: Der erste Schritt ist: Wir wollen öffentlich sagen, dass wir gegen die Chatkontrolle sind und damit Aufmerksamkeit für das Problem schaffen. Das ist schon mal der wichtigste gemeinsame Nenner, um eine Aktion zu organisieren. Außerdem soll es aus aktuellem Anlass um den Rat der EU gehen – und wie das Thema dort gerade behandelt wird.

    Kurzer Exkurs dazu, wie die europäische Gesetzgebung funktioniert und wo wir gerade stehen: Bei der Europäischen Gesetzgebung sind drei Institutionen maßgeblich. Erstens die Europäische Kommission unter der aktuellen Präsidentin Ursula von der Leyen. Sie und die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson haben das Gesetz für die Chatkontrolle vorgeschlagen. Zweitens, das Europäische Parlament. Dieses ist mit dem Rat der EU an der weiteren Gesetzgebung beteiligt und traditionell offener für Anliegen wie Freiheitsrechte gewesen. Das Europäische Parlament hat seine Position im November 2023 bereits beschlossen und wartet darauf, in die sogenannten Trilogverhandlungen zwischen den Institutionen zu gehen. Da kommt als drittes der Rat der Europäischen Union ins Spiel. In diesem sind die Regierungen der Europäischen Länder vertreten. Sie verhandeln unter einem wechselnden Vorsitz und konnten sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen.

    Gerade hat die Regierung Belgiens den Vorsitz im Rat der EU inne und koordiniert die Verhandlungen. Sie hat vorgeschlagen, die Chatkontrolle mit dem Konzept der sogenannten ‚Uploadmoderation‘ durchzubekommen. Das sieht vor, dass User künftig erpresst werden sollen, der Chatkontrolle zuzustimmen, oder sonst Kernfunktionen von Kommunikationsdiensten – wie den Versand von Bildern oder URLs – nicht mehr nutzen dürfen (vgl. Dokument 9093/24 an folgenden Stellen: Erwägungsgrund 26a, Artikel 10 Nummer 4 Punkt aa und Artikel 10a). Im Prinzip sieht der Ablauf so aus: Unternehmen sollen erst nach Risikokategorieren klassifiziert werden. Eine Präsentation des belgischen Vorsitz‘ zeigt, worum es dabei geht: Wer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbietet, gilt als Anbieter mit hohem Risiko und kann mit dem Gesetz zur Chatkontrolle verpflichtet werden. Da neben technischen Expert*innen auch der eigene juristische Dienst des Rats der EU aber immer wieder warnt, dass die Chatkontrolle mit Europarecht unvereinbar ist, will der belgischen Vorsitz jetzt einfach die Zustimmung dazu erzwingen, obwohl auch hier klar ist, dass mit so einem Trick die Grundrechte nicht ausgesetzt werden dürfen (vgl. juristischer Dienst im Drahtbericht).

    Der Text ist jetzt schon sehr lang geworden, und immer noch sind wir dabei zu erklären, worum es geht. Das zeigt auch ein Problem auf: Das Gesetz wird mit fortlaufenden Verhandlungen immer undurchsichtiger und schwerer zu verstehen, und das macht demokratische Teilhabe schwierig. Darum hier ein Versuch, es auf vier wesentliche Punkte herunterzubrechen:

    • Mit der Chatkontrolle sollen Internetdienste dazu gezwungen werden, Nachrichten noch vor dem Versand zu überwachen und damit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu untergraben.
    • Neu: Mit einer ‚Uploadmoderation‘ sollen User erpresst werden, der Chatkontrolle zuzustimmen, oder sie dürfen keine Bildinhalte und URLs mehr versenden.
    • Kurios: Selbst Emoji könnten dem Überwachungswahn zum Opfer fallen.
    • Dreist: Sich selbst wollen die Regierungen von der Chatkontrolle ausnehmen. Sicherheitshalber (vgl. Fortschrittsbericht).

    Richtig, auch Emoji sind plötzlich Teil der Debatte geworden. So wirft die Regierung Tschechiens in einer der jüngsten Verhandlungen die Frage auf, ob ein Emoji als Text oder als Bild zu zählen sei. Wenn wir diese Logik weiter verfolgen, müssen wir uns als nächstes Fragen, ob ASCII-Art dann nicht auch als Bilder erfasst werden muss, und schnell wird klar, wie absurd diese Versuche sind, die Chatkontrolle in neuem Gewand zu verpacken. Am Ende bleibt bei allem Drehen und Wenden ein Gesetz übrig, das alle Menschen unter einen Generalverdacht stellt, sämtliche Kommunikation in den Griff automatisierter Überwachung packen will und dabei nichts mit dem ursprünglich erklärten Ziel zu tun hat, Kinder zu schützen. Stattdessen wird die IT-Sicherheit von allen gefährdet, Verschlüsselung – der Grundpfeiler digitaler Kommunikation – direkt angegriffen und damit unser aller Grundfreiheiten völlig unverhältnismäßig eingeschränkt. In einer digitalisierten Welt ist verschlüsselte Kommunikation mit anderen Grundrechten eng verknüpft, z.B.:

    • mit der Möglichkeit, sein Versammlungsrecht wahrzunehmen und in Chatgruppen dafür Demoaufrufe zu teilen,
    • wenn wir uns durch den Versand von Memes ausdrücken wollen oder
    • zur Wahrung der Pressefreiheit, die auf den Schutz anonymer Quellen angewiesen ist.

    Also was machen wir jetzt mit all diesen Informationen? Wir dachten uns, wir basteln überdimensioniert große Emojis und Memes aus Pappe und werden sie in einem symbolischen Akt zerhacken und damit die Chatkontrolle-Pläne zur Uploadmoderation verbildlichen. Bei der Versammlungsbehörde haben wir das auch bereits angemeldet. Eine Axt oder Kettensäge erscheinen als die geeigneten Werkzeuge, um die Radikalität der Chatkontrolle angemessen darzustellen.

    Bei der Aktion werden wir uns Pappmasken der politischem Verantwortungsträger anziehen, da sie ja diejenigen sind, die hier die Axt an unsere Digitalrechte anlegen. So verkleiden wir uns für die Aktion z.B. als Ursula von der Leyen, denn sie ist als EU-Kommissionspräsidentin die oberste politische Autorität der EU-Kommission. Wir werden Photos machen und öffentlich teilen. Dabei kann es sich lohnen, direkt auch eine möglichst freie Lizenz zu wählen, welche es Medien erlaubt, die entstehenden Bilder zu verwenden (z.B. laxe Creative Commons Lizenzen wie CC-BY 4.0 oder CC-0) oder für Anfragen ansprechbar sein (z.B. über einen Account im Fediverse oder über Kontaktdaten auf einer Website). Ob die Aktion dann gleich so wird wie gedacht oder nicht: nur wenn ihr es ausprobiert, kann es auch klappen. Und auf jeden Fall kann es Spaß machen, und wenn viele Menschen eine kleine Dinge machen, kann das große Dinge bewegen. So ist das in einer Demokratie – nicht nur bei Wahlen.

    Also los! Wenn ihr in Bielefeld und Umgebung wohnt: Bastelt doch noch ein Protestschild oder kommt einfach so dazu. Oder organisiert in eurer Stadt auch etwas. Gegen die Chatkontrolle! Gegen Uploadmoderation! Für Grundrechte und Demokratie!