QualitätsKlicktivismus: Was ist bei Online-Petitionen zu beachten?

Eine Person mit einem Klemmbrett in der Hand bekommt einen Stift gereicht. Schwarz-Weiß Bild mit pinken Aktzenten.

Politische Teilhabe ist wichtiger denn je und die Möglichkeiten für politischen Aktivismus im Netz beinahe endlos. Gerade Online-Petitionen bieten die Möglichkeit mit wenig Aufwand wichtige Hebel zu aktivieren: Gegen Tierversuche, für mehr Klimaschutz, gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, für faire Gehälter, gegen den Abriss von Gebäuden, für den Ausbau von Kitaplätzen und vor allem: gegen Gesetze, die im Begriff sind, die Demokratie zu gefährden. Sich an Petitionen zu beteiligen fördert das Gemeinschaftsgefühl (Partizipation und Teilhabe) und das Gefühl, etwas mit direkt sichtbaren Auswirkungen, zu bewegen (Empowerment). Sicherlich wird dabei auch Adrenalin ausgeschüttet, was zu einem Glücksgefühl führt und Kraft oder Hoffnung gibt.

Viel mehr Menschen sollten sich politisch beteiligen!

Ob es die Teilnahme an Demonstrationen ist, das Unterstützen von Petitionen oder ganz andere Formen. Online-Aktivismus, „Klick-Aktivismus“, „Klicktivismus“ oder wie auch immer man diese Form der Beteiligung nennen mag, ist ein einfacher Schritt, um viel zu bewirken.

Fallstricke bei Online-Petitionen

Allerdings klicken viele Nutzer*innen im Netz, durch Emotionen geleitet, viel zu schnell, ohne sich ausgiebig mit den Themen oder dem Gesamtkontext befasst zu haben. So besteht die Möglichkeit, dass einzelne Vorhaben untersützungswürdig erscheinen, dahinter aber Personen oder Parteien stecken, die man für gewöhnlich nicht unterstützen würde.

Da sich Petitionen in der Regel schnell verbreiten und eine große Aufmerksamkeit für das entsprechende Thema schaffen, müssen sie zeitgleich auch als große Marketingmaßnahme betrachtet werden. Das ist okay, denn die Massen zu bewegen ist ja das Ziel, und Menschen für ein Thema zu begeistern, hat viele Schnittstellen mit Marketing und Werbemaßnahmen. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn (politische) Teilhabe als Marketinginstrument missbraucht wird, ohne realistische Aussichten auf einen Erfolg der beworbenen Petition.

Dazu muss es manchmal auch einfach schnell gehen, zum Beispiel wenn die Unterschrift dazu führen soll, ein Eilverfahren zu bewirken oder eine verheerende Entscheidung zu vereiteln. Es mag nicht immer möglich sein, alle Auswirkungen und Hintergründe einer Petition zu überblicken, aber es gibt qualitativ große Unterschiede zwischen einzelnen Petitionen, die zumindest darauf hinweisen, ob sich mit der gesetzten Unterschrift das gewünschte Ziel (annähernd) erreichen lässt.

Worauf kann ich vor dem Unterzeichnen von Online-Petitionen also achten?

Red-Flag-Checkliste für Online-Petitionen

Werden die Verantwortlichen erreicht?

Wird das Anliegen an die richtigen Adressat*innen herangetragen? Oder werden hier die Befugnisse falsch eingeschätzt, z.B. Bürgermeister*innen dazu aufgefordert, irgendetwas zu lassen, das sie eigentlich gar nicht ändern können, weil es sich um Verordnungen auf EU-Ebene handelt? Es sollte immer eine Kurzrecherche zu den Hintergründen einer Petition durchgeführt werden.

Red Flag: Diffuse Benennung von Verantwortlichen („Die Regierung!“ „Die da oben!“)

Ist das Erreichen des Ziels realistisch?

Hat die Petition überhaupt ein umsetzbares Ziel oder kreidet sie nur Misstände an, ohne Lösungen im Blick zu haben? Auch wenn man sich nicht tiefgehend mit dem Thema und all seinen Nebensträngen auskennt, sollten die Forderungen vor der Unterzeichnung mit Sinn und verstand geprüft werden. Auch die Darstellungen von Meilensteinen (meist die Angabe bereits eingegangener Unterschriften) sind mit Vorsicht zu genießen: Zum einen können sie die Wirksamkeit der Petition beweisen und Erfolge sichtbar machen, zum anderen kann an dieser Stelle auch durch falsche Angaben und irreführende Statistiken getrickst werden.

Red Flag: Ventil zum Ablassen von Missmut als einziger Zweck der Sache (Stichwort Empörungsbewirtschaftung).

Geht es hier nur um Aufmerksamkeit?

Wer steckt hinter dem Aufruf? Sind die Petitent*innen die, die Arbeit gemacht haben? Stammen die konzeptionelle Arbeit sowie Texte und Informationen zu der Thematik aus deren Feder oder ist zu erkennen, dass sich eine Person/Organisation mit fremden Federn zu schmücken versucht? Dazu sollte nicht nur nachgeschaut werden, wer für die Petition verantwortlich ist, sondern auch welche weiterführenden Informationen dort verlinkt sind.

Red Flag: Reißerischer Aufruf und eine kurze Beschreibung des Themas ohne weiterführende Informationen.

Geht es hier nur um meine Daten?

Auf welcher Plattform ist die Petition angelegt und hat sie nicht eigentlich nur das Ziel, meine Adressdaten mit meinen politischen Interessen abzuspeichern? Welche Daten werden abgefragt und wann werden diese wieder gelöscht? Werden unnötige Daten erfasst, die eigentlich mit der Petition nichts zu tun haben? Gibt es vielleicht nicht sichtbare Datenabflüsse durch Tracker, die in die Seite eingebaut sind, sodass Informationen über meine politische Meinung an Dritte weitergegeben werden? Um das zu überprüfen, bieten sich Tools an, die Auskunft über die Serverstandorte und eingesetzte Cookies und Tracker liefern, z.B. Webbkoll.

Red Flag: Fehlende Angaben zum Schutz der Daten und Petitionsanbieter mit Serverstandorten außerhalb des DSGVO-Geltungsbereichs, inbesondere in den USA.

Wie ist das Verhältnis von Marketing und politischer Arbeit?

Werden mir Heizdecken oder Tassen angedreht? Werde ich beim Unterzeichnen der Petition genudged einen Newsletter zu abonnieren oder für einen Zweck zu spenden, der nicht unmittelbar mit der Petition zusammenhängt? Ein wenig Eigenwerbung von der Organisation, die den Aufruf gestartet hat, sich die ganze Mühe gemacht hat und weitere Unterstützung erbittet, ist nicht das Problem (insbesondere bei gemeinnützigen Organisationen). Aber ernsthafte politische Arbeit braucht keine zusätzlichen Bonbons. Das gemeinsame Ziel zu erreichen, sollte nicht nur klar im Vordergrund stehen, sondern auch Anreiz genug sein.

Red Flag: Das Anlocken mit Geschenken und Vorteilen sowie gekoppelte Bedingungen (ungefragte weitere Infos).

Was sind die nächsten Schritte?

Wann wird die Petition wie und wem übergeben? Kann ich darauf vertrauen, dass meine Stimme gehört oder ernst genommen, und an die Verantwortlichen herangetragen wird? Gibt es später eine Möglichkeit, wo ich nachsehen kann, was aus der Petition geworden ist? Wenn die Petition nach kurzer Zeit und ohne weitere Begleitung durch die Verantwortlichen in Schall und Rauch verblasst, ist das kein gutes Zeichen.

Red Flag: Keine Angaben darüber, wie es nach dem Setzen meiner Unterschrift weitergeht.

Übrigens: Auch Kinder und Jugendliche sollten bereits an die Chancen und Gefahren von Online-Petitionen herangeführt werden. Ein Mindestalter, um eine Petition unterschreiben zu dürfen, gibt es nämlich nicht. Art. 17 des Grundgesetzes besagt: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden“.

Dieser Beitrag ist in Kooperation entstanden (CC-BY-SA) von:

Friedemann Ebelt

Markus Korporal

Christian Pietsch

Jessica Wawrzyniak

und weiteren Ideengeber*innen in diesem Thread auf Mastodon.

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