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  • Unwirksam und repressiv: Messerverbotszonen in Bielefeld

    Im schönen Bielefeld, der primären Wirkungsstätte der Datenpunks gibt es etwas Neues: Mit dem heutigen Tage glänzt die Innenstadt mit einer schicken Messerverbotszone.
    Gut, die Schilder hängen noch nicht alle, die kreativen Öffnungszeiten (ich weiß es doch auch nicht…) sind schwer zu merken, aber unsere Polizeipräsidentin versichert:

    „[…]jede und jeder muss damit rechnen, dort im Hinblick auf das Führungsverbot von Waffen und Messern von der Polizei kontrolliert zu werden.“.

    Ich bin mir ziemlich sicher dass einige Leute öfter jede und jeder sind als andere Leute.

    Die Einrichtung einer Messerverbotszone erweitert die polizeilichen Befugnisse schon recht umfassend. Insbesondere dürfen Personen und ihre Taschen verdachtsunabhängig nach jeglicher Art von Messer durchsucht werden – selbst die Abriegelung einer Messerverbotszone und die Durchsuchung aller darin befindlichen Personen ist damit rechtlich abgesichert.
    In Darmstadt wird auch gerne mal ein Bus oder eine Stadtbahn angehalten, um allen Mitfahrenden noch einmal zu verdeutlichen, dass sie gefälligst Auto zu fahren haben, wenn sie ihre Bürgerrechte in Deutschland gewahrt wissen wollen.

    Aber hey, das ist doch ein kleiner Preis dafür, dass wir alle besser vor den Messermännern geschützt sind, vor denen uns Alice Weidel so sorgenvoll wie uneigennützig warnt. Oder etwa nicht?

    Forscher:innen der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, kurz KrimZ, haben 2024 „Ausmaß und Entwicklung der Messerkriminalität in Deutschland“ [link.springer.com] untersucht.
    Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass derzeit kein „unmittelbarer kriminalpolitischer Handlungsbedarf“ besteht.
    Da es nur wenige verlässliche Zahlen gibt, können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht eindeutig belegen, dass Messerkriminalität in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen hat.

    Ausserdem gibt es gar keine richtige Definition dafür, was unter „Messerkriminalität“ in der Kriminalstatistik landet – selbst sichergestellte Messer in Messerverbotszonen zählen hier. Heisst: Je mehr Messerverbotszonen eingerichtet werden, desto mehr Delikte für die Statistik werden festgestellt.

    Die meisten Messerangriffe finden laut der KrimZ-Studie im „privaten Raum unter Bekannten“ statt und als geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Frauen und queeren Menschen.

    Die oft herangezogene Polizeiliche Kriminalstatistik steht seit Jahren als wissenschaftlich dürftig in der Kritik. Der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Goethe Universität Frankfurt definiert sie in der „Zeit“ als „Tätigkeitsbericht der Polizei, mehr nicht“, und führt aus: „die Statistik spiegelt nur das wider, was die Polizei sehen kann und erfassen will“ [www.zeit.de].

    In Sachsen zeigt eine Evaluation der Waffenverbotszone in Leipzig [static.leipzig.de], dass die Zahl der Delikte seit Einrichtung der dortigen Verbotszone für kurze Zeit verringert werden konnte, wenn mehr Polizeikontrollen durchgeführt worden sind. Allerdings sind sie im Anschluss jeweils wieder angestiegen – wenn auch auf niedrigerem Niveau als im ersten Zeitraum der Einführung der Waffenverbotszone. Nicht einmal das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger:innen hat sich in Leipzig verbessert. Dort wird nun die Waffenverbotszone wieder rückabgewickelt.

    Wenn Waffenverbotszonen also nicht wirklich einen Einfluss darauf haben, dass Waffengewalt passiert, höchstens wo sie passiert, wieso der ganze Aufriss?

    BKA-Präsident Holger Münch fasst in einem „Zeit“-Interview [www.bka.de] ganz gut zusammen:

    „Es geht ja nicht nur darum, ein Verbot auszusprechen, sondern auch einen Anlass zu schaffen, kontrollieren zu dürfen.“

    Innerhalb von Waffenverbotszonen ist racial profiling vorprogrammiert: Natürlich werden migrantisch gelesene, junge und männliche Bürger häufiger kontrolliert. Wie nachhaltig so etwas das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Organe beschädigt, sollte klar sein.

    Ein weiterer Aspekt ist die Stigmatisierung von ganzen Stadtteilen durch die Einrichtung einer Waffenverbotszone dort. Anwohner:innen werden in eine Schublade gesteckt, ihr Selbstverständnis als gleichberechtigter Teil der Stadtgesellschaft ändert sich und führt im Schlimmsten Fall dazu, dass die Prophezeiung eines Kriminalitätsschwerpunkts sich selbst erfüllt.

    Sinnvoller wären soziale Projekte und Programme zur Gewaltprävention. Wir müssen über toxische Männlichkeit sprechen und in den Schulen Trainings zu Empathie und Konfliktlösung anbieten. Sicherheit durch Mietendeckel, Mindestlohn, psychologische Versorgung ohne monatelange Wartezeiten und eine Perspektive für Geflüchtete durch zügig bewilligte Asylanträge wären Maßnahmen, die eher für sozialen Frieden sorgen würden als die Taschen von Leuten in der Innenstadt zu durchforsten.

    Oder wir freuen uns über nutzlose Symbolpolitik, und dass wir „schon dem ein oder anderen potenziellen Täter das Messer weggenommen“ haben, wie NRW-Innenminister Herbert Reul sagt [www1.wdr.de].

  • Die größte Enttäuschung seit Beginn der Ampel-Regierung. Zivilgesellschaft kritisiert das Sicherheitspaket.

    Die Zivilgesellschaft kritisiert die angepassten Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets, das am Mittwoch, den 16. Oktober 2024 im Innenausschuss des Bundestages beraten und noch diese Woche vom Parlament beschlossen werden soll.

    In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt das Bündnis „Gesichtserkennung Stoppen“:

    Das sogenannte Sicherheitspaket ist die größte Enttäuschung im Hinblick auf Bürgerrechte seit Beginn der Ampel-Regierung. Unter dem Eindruck des Anschlags in Solingen und mehrerer Landtagswahlen ist die Koalition von ihrem Anspruch auf eine vorausschauende, evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheits- und Innenpolitik abgerückt. Trotz der breiten Kritik der geladenen Sachverständigen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen sollen die weitgehenden neuen Befugnisse noch diese Woche beschlossen werden. Durch das Gesetzespaket erhalten Bundespolizei, BKA und BAMF neue Befugnisse mit beispielloser Reichweite. Die neuen Befugnisse zum biometrischen Abgleich bzw. zur Identifizierung anhand von allen im Internet öffentlich zugänglichen Daten und die automatisierte Datenanalyse durch Anbietende wie Palantir, Clearview, PimEyes und Co greifen tief in die Grundprinzipien einer offenen, freiheitlichen und selbstbestimmten Gesellschaft ein. Sie verstoßen gegen EU-Recht und die deutsche Verfassung und brechen die Versprechen des Koalitionsvertrages, gegen biometrische Massenüberwachung vorzugehen. Die vorliegenden Änderungsanträge können auch die Bedenken gegenüber dem Missbrauchspotenzial der neuen Befugnisse, der strukturellen Diskriminierung und der grundrechtsschonenden Durchsetzung nicht aus dem Weg räumen. Insbesondere mit Blick auf das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte sind das Sicherheitspaket und die darin enthaltenen Maßnahmen zutiefst besorgniserregend.

    Zudem nehmen wie folgt Stellung:

    Markus Korporal für die Datenpunks: „Wir appellieren an die Ampel, mit einem positiven und solidarischen Gesellschaftsentwurf gegen Hass und rechte Narrative anzutreten, anstatt diese auch noch in Gesetzesform zu gießen. Lediglich als Echokammer für Faschisten zu dienen, darf nicht der Anspruch einer als Fortschrittskoalition angetretenen Regierung sein.“

    Svea Windwehr, Co-Vorsitzende von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt: „Das Sicherheitspaket macht unsere Gesellschaft unsicherer und schwächt unsere Demokratie. Der angebliche Gewinn an Sicherheit steht in keinem Verhältnis zu dem massiven Eingriff in Grundrechte wie dem Recht auf Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung. Auch die Änderungsanträge der Ampel-Fraktionen können die fundamentalen Bedenken am sogenannten Sicherheitspaket nicht ausräumen. Es bleibt zudem unklar, wie die Maßnahmen mit europäischen Vorgaben vereinbar sein sollen. Damit hält die Ampel an einem Kurs fest, der populistische Narrative stärkt, Rechte von besonders Schutzbedürftigen untergräbt und die Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages bricht.“

    Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch: „Die Bemühungen einzelner Ampel-Parlamentarier*innen, das „Sicherheitspaket“ so zu ändern, dass es nicht gegen Grundrechte verstößt, beruhigen uns nicht im Geringsten. Es gibt keine Möglichkeit, Bilder von Verdächtigen mit denen aus dem Internet zu vergleichen, ohne eine Super-Datenbank mit Bildern von allen anzulegen. Das gefährdet die Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Autonomie in einer demokratischen Gesellschaft. Die Begründung, dass dadurch Morde wie in Solingen verhindert würden, ist höchst zweifelhaft. Stattdessen wird die Debatte befeuert, Migration gefährde die Sicherheit . Das ist falsch und Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Wir lehnen das Gesetz weiterhin ab und werden nach Wegen suchen, es zu verhindern, im Zweifel mit einer Verfassungsbeschwerde. Wir setzen auf zielgerichtete Polizeiarbeit, mit der Verbrechen verfassungs- und bürgerrechtskonform verhindert und aufklärt werden.“

    Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland: „Die Änderungen in einzelnen Bereichen haben das grundsätzliche Problem nicht behoben: Künftig müssten alle Menschen, die im Internet Fotos, Videos oder Tonaufnahmen hochladen, damit rechnen, dass diese mit biometrischer Überwachungstechnologie durchsucht und analysiert werden dürfen. Das hat einschüchternde Auswirkungen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Es kann von menschenrechtsfeindlichen politischen Kräften missbraucht werden. Und laut technischen Expert*innen müssten dafür riesige Datenbanken aufgebaut werden, die von der KI-Verordnung verboten sind. Auch Racial Profiling wird durch die Maßnahmen weiterhin gefördert. Die grundsätzlichen Kritikpunkte bleiben also bestehen und sind so schwerwiegend, dass das Maßnahmenpaket vollständig in den Schredder gehört.“

    Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs: „Die vorliegenden Änderungsanträge sind lediglich Augenwischerei im Hinblick auf die geplante biometrische Massenüberwachung. Die Bundesregierung ignoriert weiterhin die Fehleranfälligkeit und die Risiken von KI. Sie schafft die Grundlage für eine dystopische Zukunft, in der niemand mehr anonym im öffentlichen Raum oder im Internet unterwegs sein kann. Als Reaktion auf ein solches Gesetz müssten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Überwachungsmaßnahmen sabotiert und abgeschaltet werden können.“

    Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft: „Die Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets wäre die endgültige Abkehr der Ampel-Koalition vom Anspruch einer den Grundrechten verpflichteten Sicherheitspolitik. Die kleinen Änderungen, die nun eingefügt werden sollen, sind rein kosmetisch und ändern nichts daran, dass die Maßnahmen zu einem massiven Ausbau biometrischer Massenüberwachung, willkürlichen Polizeikontrollen und einer weitgehend entgrenzten Datenverarbeitung führen werden. Das ist die Agenda autoritärer Populisten und nicht die einer  „Fortschrittskoalition“.“

    Teresa Widlok von LOAD e.V.: „Das sogenannte Sicherheitspaket führt die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für biometrische Überwachung und eine polizeiliche Superdatenbank ein. Zwar haben die Verhandler an vielen Stellen Schutzmaßnahmen eingebaut, die auch teilweise sehr erheblich sind – doch auch das ist letztlich nur Flickschusterei. Das eigentliche Problem ist, dass solche digitalen Befugnisse überhaupt zur Diskussion stehen. Im Windschatten der Empörung über Solingen haben die Sicherheitsbehörden ihre Chance gewittert und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um die Idee eines anonymen Internets weiter zu untergraben. Die Ergebnisse der aktuell noch laufenden Überwachungsgesamtrechnung wurden ebenfalls nicht abgewartet. Die Büchse der Pandora für noch weitergehende Überwachungsbefugnisse ist damit geöffnet.“

    Caroline Krohn von der AG Nachhaltige Digitalisierung stellt fest: Die Parlamentarier*innen sind von dem populistischen Gesetzesvorhaben überrumpelt worden. Hinter vorgehaltener Hand hält kaum ein*e Abgeordnete*r der regierungsnahen Fraktionen die Maßnahmen für effektiv, richtig und/oder moralisch vertretbar. Partei-, fraktions-, koalitionsinterne Zwänge sowie machtpolitisches Kalkül zwingen die Abgeordneten, sich von ihrem eigenen Gewissen und der Kontrollfunktion des Parlaments abzuwenden und sich der Gesetzesvorgabe zu beugen – zu Lasten der Freiheit und der Selbstbestimmung aller und zu Lasten der akuten Sicherheit und Unversehrtheit vulnerabler Gruppen, die bei all dem Feilschen um bessere Formulierungen in den Verhandlungsrunden schlicht keine Rolle gespielt zu haben scheinen. Dieses Gesetz gehört in Gänze verworfen. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder des Bundestages den Mut dazu finden. 

    Lotte Burmeister von Digitale Freiheit: „Eine Hose runter, alle Hosen runter – Das Vorhaben verkennt die technische Unmöglichkeit, nur Gesichter von Tatverdächtigen aus dem Internet zu ziehen. Stattdessen wird eine staatliche „Gesichterdatenbank“ bestehend aus Fotos von Social Media Rückschlüsse auf unser aller sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Arbeitgeber bieten. Wenn die Ampel-Parteien noch glaubwürdig sein möchten, sollten sie auf eine solche Rechtsgrundlage verzichten und stattdessen wie im Koalitionsvertrag angelegt ein umfassendes nationales Verbot biometrischer Massenüberwachung im öffentlichen Raum beschließen.“

    Bildmaterial

    Bilder des Bündnisses Gesichtserkennen Stoppen bei der Demo gegen das Sicherheitspaket finden Sie hier:
     https://cloud.d-64.org/s/QxXZpJEy8KJBJ46 

    Alle Bildunterschriften: Das Bündnis Gesichtserkennen Stoppen stellt sich gegen das Sicherheitspaket

    Alle Foto-Credits: Gesichtserkennen Stoppen

    Hintergrundinformationen

    Stellungnahme von AlgorithmWatch für das Bündnis: 
     https://algorithmwatch.org/de/stellungnahme-sicherheitspaket/ 

    Bündnis-Seite:
    https://gesichtserkennung-stoppen.de/